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18.11.1919: Dolchstoßlegende
Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg sprach 1919 vor dem Ausschuss der Nationalversammlung über die Schuldfragen des Ersten Weltkriegs: "In dieser Zeit setzte die heimliche planmäßige Zersetzung von Flotte und Heer als Fortsetzung ähnlicher Erscheinungen im Frieden ein. (...) So mussten unsere Operationen misslingen, es musste der Zusammenbruch kommen; die Revolution bildete nur den Schlussstein. Ein englischer General sagte mit Recht: "Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden"."

Mit diesen Sätzen versuchte von Hindenburg von der eigenen Verantwortung für die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg abzulenken. Die Dolchstoßlegende war geboren.

Die Schüsse von Sarajewo

Ein Blick zurück in das Jahr 1914: Am 28. Juni erschoss ein serbischer Nationalist in Sarajewo das habsburgische Thronfolgerpaar von Österreich-Ungarn. Kurz nach einem mit Deutschland abgesprochenen Ultimatum erklärte Österreich Serbien daraufhin den Krieg. Anfang August 1914 erklärte dann Deutschland Russland und Frankreich den Krieg. Am 4. August kam Großbritannien hinzu, weil Deutschland freies Durchmarschrecht durch Belgien forderte. Zahlreiche weitere Staaten schlossen sich in der Folge diesem Krieg an.

Der deutsche Plan, die französische Armee durch eine schnelle Einkesselung zu bezwingen, misslang. Schon im Oktober 1914 ging der Krieg an der Westfront in einen für alle Seiten opferreichen Stellungskrieg über, in dem sich die Frontlinien bis 1918 nicht wesentlich veränderten.

Kriegseintritt der USA

Die Lebensmittelversorgung in Deutschland verschlechterte sich durch die britische Seeblockade so sehr, dass allein im Jahre 1917 260.000 Zivilisten an Hunger oder an Hungerfolgen starben. Die deutsche Ankündigung einer Gegenblockade mit Hilfe eines uneingeschränkten U-Boot-Krieges führte im April 1917 zum entscheidenden Kriegseintritt der USA. An der Ostfront diktierte Deutschland zwar im März 1918 Russland noch den Frieden von Brest-Litowsk. Aber im Westen brach die deutsche Front bei einem Gegenschlag der Alliierten im August fast zusammen.

Der Stabschef eines Gruppenkommandos in Flandern notierte: "Ganze Divisionen brennen in Stunden zu Schlacke aus, und man schreit nach neuen, die nicht kommen. Wollte Gott, dass dies die letzte große Menschenschlächterei des Großen Krieges sein möge; heute früh haben wieder Tausende sterben müssen."

Um dem endgültigen Durchbruch der alliierten Truppen im Westen zuvorzukommen, forderte Generalquartiermeister Ludendorff den sofortigen Waffenstillstand.

Kriegsmüdigkeit und Proteste

In Deutschland hatte sich die anfängliche Kriegsbegeisterung quer durch alle Parteien und Bevölkerungsgruppen spätestens mit dem schweren Hungerwinter Anfang 1917 gelegt. In jenem Kriegsjahr legten das erste Mal Rüstungsarbeiter aus Prostest gegen den Hunger die Arbeit nieder. Im Juli schlossen sich demokratische Parteien zu einem "Interfraktionellen Ausschuss" zusammen und drängten die Reichsregierung - wenn auch erfolglos - zu einem "Verständigungsfrieden ... ohne erzwungene Gebietserwerbungen".

Anfang November 1918, mitten in den laufenden Waffenstillstandsverhandlungen, verhinderten Kieler Matrosen das Auslaufen der Hochseeflotte zu einem letzten sinnlosen Entlastungsangriff und lösten mit ihrer Gehorsamsverweigerung eine revolutionäre Kettenreaktion in Deutschland aus.

Demokratie und Friedensschluss

Demokratische, kommunistische und nationalistische Kräfte rangen um die Macht in Deutschland und stürzten die Monarchie. Durchsetzen konnten sich die Demokraten, die später durch die Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung legitimiert wurden. Das alte Regime übergab dem "Interfraktionellen Ausschuss" der Kriegsgegner vom Vorjahr die Regierungsgeschäfte und damit aber auch die schwere Bürde, einen für Deutschland ruinösen Friedensschluss annehmen zu müssen.

All diese Entwicklungen in der Heimat, die letztlich zum Sturz des alten Regimes und zur Geburt der Demokratie geführt haben, dienten nun der Obersten Heeresleitung, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Die These Hindenburgs, dass aufrührerische Kräfte in der Heimat die Armee zersetzt und ihr damit den Dolch in den Rücken gestoßen hätten, wurde von prominenten kaiserlichen Militärs und Politikern über konservative und rechtsradikale Zeitungen weiterverbreitet und gewann eine von den demokratischen Kräften unterschätzte politische Sprengkraft.

Die unter dem Druck der anfänglich unerbittlichen Reparationsforderungen stehende Bevölkerung litt unter Arbeitslosigkeit und Geldentwertung; eine umfassende Aufarbeitung der wahren Kriegsgründe fand nicht statt. Den nationalistischen Kräften sollte es gelingen, die Demokratie zu verteufeln und mit Heilsversprechungen an die Macht zu kommen.

Autorin: Henrike Scheidsbach
   
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