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20.11.1913: Tango-Verbot für Offiziere
In den Hafenvierteln von Buenos Aires entstand Mitte des 19. Jahrhunderts ein neuer Tanz: der Tango. Im Lateinischen bedeutet das Wort "ich berühre". Ein treffender Name. Zu aufwühlenden Harmonien und hart stakkatierten Rhythmen tanzten die Paare zum ersten Mal auf der Welt in engstem Körperkontakt. Mit ihren Bewegungen erzählen sie Geschichten von Schmerz und Sehnsucht.

In der "Encyclopedia of Latin America" ist über den Tango zu lesen: "Tango ist fordernde Leidenschaft, Zärtlichkeit, Melancholie und natürlich ein Spiel zwischen Mann und Frau. Er erzählt von gescheiterten Liebesbeziehungen, dem der Prostitution verfallenen Mädchen, Verlust der Jugend, des heimischen Stadtviertels."

Seine unverwechselbare, melancholische Stimme erhält der Tango durch ein Musikinstrument, das deutsche Einwanderer nach Argentinien mitbrachten: Eine kleine Ziehharmonika aus der Werkstatt von Heinrich Band in Krefeld, dem Bandoneon.

Aus Hafenkneipen in Paläste

Der wohlig-anrüchige Tanz aus den Bordellen und Hafenkneipen hielt bald auch Einzug in den Palästen der Oberschicht. Eine neue Technik entstand gleichzeitig mit dem Tango: die Tonaufzeichnung. Zuerst auf Phonographenwalzen, dann auf Schellackplatten reisten die neuen Klänge in die Alte Welt. Von der High Society in London und Paris wurde sie begeistert aufgenommen.

Bei jeder Soirée, in jeder Revue, auf jedem Ball wurde Tango getanzt. So sinnlich, wie der Tanz war auch seine Mode. Die Paare brauchten Bewegungsfreiheit, um die lasziven Verschränkungen des Tango ausführen zu können. Der Modeschöpfer Paul Poiret kreierte einen eigenen Tangolook. Er wurde zur Mode der Jahrhundertwende. Die Damen trugen ärmellose taillierte Überkleider, darunter knöchellange Pluderhosen oder hoch geschlitzte schmale Röcke aus Chiffon. Den Kopf zierten eng anliegende turbanartige Kappen mit ausladendem Feder- und Straußschmuck. Selbst allerhöchste Kreise goutieren die neue Freizügigkeit; der preußische Kronprinz war gerngesehener Gast bei den Damen der Tangoetablissements.

Wenig begeistert von der neuen Mode war das preußische Kaiserpaar. Der strengreligiösen Auguste Victoria waren Tanzvergnügen sowieso zuwider - und der Kaiser bevorzugte andere Rhythmen.

Der Tango, das Rinnsteinkind

Der Tango ist kein vornehmer Tanz. Der Tango ist ein Kind der Hafenkneipen. Im Tango drücken die Vergessenen am unteren Rand der Gesellschaft ihr Leiden aus, das passte so gar nicht ins kaiserliche Kunstverständnis.

Aber der Tango, das Rinnsteinkind, wie Kaiser Wilhelm II. ihn nannte, wollte sich zum Ärger des Kaisers in seinem Siegeszug einfach nicht mehr stoppen lassen. Der Kaiser fürchtete um die preußische Staatskultur. Der Anlass: Die Gräfin von Schwerin-Löwitz, Gattin des Landtagspräsidenten, veranstaltete einen Tango-Tee. Auf dem Parkett in sinnlichen Verschlingungen mit ihren Tänzerinnen Amtsträger, Diplomaten und hohe Militärs. Gipfel des Skandals: Veranstaltungsort war der Preußische Landtag.

Da griff der Kaiser durch. Wenigstens seine Lieblingsuntertanen, die Soldaten, sollten dem sündigen Treiben fernbleiben. Am 20. November 1913 erging ein Erlass, nach dem es Offizieren in Uniform verboten war, den Tango zu tanzen.

Viel Gelegenheit gab es ohnehin nicht mehr. Der Erste Weltkrieg verwüstete Europa. Danach gab es keinen Kaiser mehr. Aber immer noch den Tango.

Autorin: Catrin Möderler
   
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