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5.12.1894: Vollendung des Berliner Reichstags |
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Von keinem öffentlichen Gebäude in Deutschland ist so viel, so lange und so kontrovers die Rede gewesen. Kein anderes öffentliches Gebäude hat die Gemüter derart polarisiert wie der Berliner Reichstag: Am 5. Dezember 1894 wird der Schlussstein für den klotzigen Neobarockbau durch den Frankfurter Architekten Paul Wallot gelegt.
Der Reichstag, ein Monument aus Sandstein mit gewaltigen Ausmaßen: fast 140 Meter lang, mehr als 100 Meter breit und 75 Meter Kuppelhöhe. Bereits seine Entstehungsgeschichte ist geprägt von monarchischer Arroganz und Missbilligung: Reichskanzler Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm I. streiten sich um den rechten Standort für das neugeschaffene Parlament. Seine geringe Wertschätzung spiegelt schließlich auch der Ort wider, an dem das Reichstagsgebäude errichtet wird: Nicht im Zentrum Berlins steht das Hohe Haus, sondern hinter der Spree, sozusagen beim Brandenburger Tor um die Ecke.
1884 wurde mit den Bauarbeiten begonnen, 1894 hatte man den repräsentativen kompakten Neobarockbau für 400 Abgeordnete fertiggestellt. Doch mit dem Ergebnis war kaum jemand zufrieden: zu imposant und zu auftrumpfend wirke der Reichstag, zu überladen und zu monströs, ihm fehle das Grazile, das Leichte, kritisieren bereits die Zeitgenossen.
Der Heidelberger Politologe Klaus von Beyme: "Selbst in Ländern, wo schon Demokratie war, im US-amerikanischen Kongress oder im Schweizer Parlament in Bern, sind ja demokratische Werte repräsentiert, sondern da sind ja auch überwältigende, fast einschüchternde Architektur, die dann vermittels einzelner Elemente populärer gemacht werden. Aber der erste Eindruck ist nicht gerade demokratisch, sondern furchterbietend und nicht transparent. Und so ähnlich ist der Reichstag auch."
Wallot plant und gestaltet das Haus als Symbol des Reiches: Die vier wuchtigen Ecktürme sollen die vier deutschen Königreiche darstellen - Bayern und Württemberg, Hannover und Preußen. Als ingenieurtechnisch besonders spektakulär gilt die aus Eisen und Glas gefertigte mächtige Kuppel über der Mitte des Reichstags. Mit den Seitentürmen bestimmt sie die Silhouette des Gebäudes - ein weithin markantes Herrschaftszeichen des deutschen Kaiserreiches; in dem es schon mal vorkam, dass seine Abgeordneten gelegentlich den Sitzungssaal nicht fanden - zu verwirrend waren die Ebenen und Verbindungen innerhalb des Gebäudes.
Der Kaiser redete dem Architekten Wallot immer wieder in die Bauausführung hinein. Schließlich war es keine parlamentarisch-konstitutionelle Demokratie gewesen, die dieses Haus hatte bauen lassen, sondern eine halbfeudalistische Monarchie, deren Herrscher kräftig mitregieren wollten.
Von Volkssouveränität keine Spur, sagte Ulrich Preuß, zurückblickend auf die institutionelle Gesamtentwicklung des deutschen Parlaments: "Bei Bismarck, ganz klar, ist der Reichstag nicht wirklich eine demokratische Institution, der gegenüber die Regierung verantwortlich war, von der die Regierung abhängig war. Das gilt bis 1918 in Weimar in der parlamentarischen Demokratie."
Die Parlamentarier als Staffage im eigenen Haus, das spiegelte durchaus die politischen Verhältnisse der damaligen Zeit wider. Nicht zufällig fehlte 1894 in der kaiserlichen Urkunde das Wort "Volk", denn Wilhelm II. war ein entschiedener Gegner des parlamentarischen Systems.
Die historischen Umstände, die den Reichstag als politische Institution entstehen ließen, waren ebenso widersprüchlich wie richtungsweisend: Sozialistengesetze und Sozialversicherung, allgemeines Wahlrecht und wilhelminischer Obrigkeitsstaat. Die Obrigkeit zu kontrollieren, ihr auf die Finger zuschauen, das gelingt dem Reichstag nur selten. Seine Mitglieder bekommen für ihre Arbeit keinen Pfennig. Bismarck legt Wert auf ein "diätenloses" Parlament. Damit werden die wohlhabenden oberen Stände privilegiert.
Klaus von Beyme hebt aber noch ein weiteres Element hervor: "Dann steht der zunächst einmal für den Versuch, einen Parlamentarismus in einem ziemlich autoritären Regime zu installieren. Für mich ist dann natürlich auch ganz unarchitektonisch verbunden, nämlich eine hohe Debattenkultur, die sicherlich höher war als heute. Paradoxerweise müssen wir sagen: Je machtloser ein Parlament ist, desto rhetorisch besser ist es sehr häufig, weil es sonst nicht viel machen kann."
Autor: Michael Marek |
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