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5.7.1841: Beginn des Massentourismus
Sommerzeit - Reisezeit. Kaum ein Fleckchen auf dieser Erde, das ungestraft, sprich unbesucht davonkommt. Von der Süd- bis zur Nordsee, von den Seychellen bis Lappland - eine Völkerwanderung von Millionen Touristen auf der Suche nach Erholung. Und angefangen hat alles am 5. Juli 1841 bei einer Bahnreise mit Blasmusik.

570 Menschen drängten sich an jenem Morgen des 5. Juli auf dem Bahnsteig des mittelenglischen Städtchens Leicester. Zahlreiche Schaulustige beobachteten die Abfahrt derjenigen, die der Einladung von Mr. Thomas Cook zu einer Extrafahrt Leicester-Loughborough und zurück, gefolgt waren.

Einen Schilling kostete der Ausflug. Für den Schilling gab es aber nicht nur Hin- und Rückfahrt dritter Klasse ohne Sitzgelegenheit, sondern auch ein Schinkenbrot und eine Tasse Tee. Die erste Pauschalreise der Geschichte.

"Weg von der Ginflasche und hinaus an die frische Luft"

Thomas Cook war Drechsler, Drucker, Verleger und vor allem Laienprediger. Mit der Tour nach Loughborough wollte der Stammvater aller Reisebüros übrigens alles, nur eines nicht: Geld verdienen. Die 570 Teilnehmer waren Temperenzler, eine Bewegung, die für ein alkoholfreies Leben kämpfte. "Weg von der Ginflasche und hinaus an die frische Luft", das war Cooks eigentliches Anliegen.

Frische Luft dürften die eng eingepferchten Passagiere in den "Reisebottichen" der Midland Railway zur Genüge eingeatmet haben, die Waggons waren offen. Die Ankunft in Loughborough war dann triumphal: Tausende Neugierige begrüßten die Pioniere mit Fahnen und Musikkapellen.

Auf die Idee war Cook wenige Monate zuvor gekommen, als er die Strecke zu Fuß gegangen war: "Etwa auf halbem Wege zwischen Loughborough und Leicester durchzuckte mich ein Gedanke: Wie wunderbar wäre es, wenn diese neu entwickelten Kräfte von Eisenbahnen und Reisemöglichkeiten der Ausbreitung des Abstinenzgedankens dienstbar gemacht werden könnten."

"Menschen mit Menschen und Menschen mit Gott zu verbinden"

Gereist sind die Menschen natürlich schon vor Thomas Cook, aber nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Und Erholung oder wie Cook es wollte: "Menschen mit Menschen und Menschen mit Gott zu verbinden." Das war sowieso nicht geplant.

Unterwegs waren Händler, Diplomaten, Handwerksburschen. Auf den Straßen fanden sich Kuriere, Soldaten, Pilger und jede Menge Gauner, weshalb niemand wirklich zu beneiden war, der größere Strecken zu überwinden hatte. Reisen aus Freude, dass war für die Masse unvorstellbar.

Im 18. Jahrhundert kam dann in adligen Kreisen als neue Form die sogenannte Badereise auf, die sowohl der Gesundheit als auch dem Vergnügen diente. Städtchen wie Baden-Baden oder Wiesbaden verdanken ihren heutigen Reichtum nicht zuletzt dieser Zeit.

Ja, und dann kam die Eisenbahn und machte es auf einmal möglich, lange Distanzen gefahrlos und preiswert zurückzulegen. Aus dem Reisenden wurde der Tourist.

Ein jeder solle reisen

Thomas Cook wollte, dass jeder reisen konnte. Für Industriearbeiter, die täglich zwölf Stunden und mehr, inklusive Wochenende, arbeiten mussten, bot er Nachtausflüge an. Als er eine Reise zur großen Londoner Industrieausstellung 1851 anbot, setzte er sich in seinen Anzeigen für das Recht der Arbeiter auf Freizeit ein.

Aber die Reiserevolution spielte nicht nur eine wichtige Rolle in der Emanzipation der Arbeiter- und Mittelschicht, sondern auch der Frauen, die stets zu Cooks zahlreichen Kunden gehörten, so ist von Cook überliefert: "Was ihre Energie, Tapferkeit und Ausdauer anbelangt, sind sie im allgemeinen dem anderen Geschlecht ebenbürtig, und nicht selten verschämen sie verweichlichte Herren. Die Verzierungen der herrschenden Mode mögen ihnen manchmal beim Klettern über Abgründe hinderlich sein. Aber viele, die sich nicht um Mode oder Sitte kümmern, überwinden alle Schwierigkeiten und werden zu vollkommenen Touristen."

Thomas Cook: Das Synonym fürs Reisen

Aus der ersten Reise mit 570 Temperenzlern wurde eine Bewegung: die Tourismus-Bewegung. Thomas Cook organisierte bald die ersten Auslandsreisen, erfand den Hotelscheck und später den Reisescheck, um den damals noch wirklich lästigen Währungsproblemen ein Schnippchen zu schlagen. Reisebüros in der ganzen Welt wurden gegründet. Thomas Cook, das war das Synonym fürs Reisen, obwohl dem Tourismus-Herrscher nicht alle Reisenden gleich lieb waren.

Über eine deutsche Reisegruppe schrieb er: "Die lärmenden Teutonen nahmen alle Kabinen auf dem Oberdeck in Besitz und unsere Damen mussten unter Deck gehen, als wären sie französische Bürger unter deutscher Knute."

Für jeden war etwas dabei in Cooks Reisesortiment, einem indischen Fürsten ermöglichte es Cook 33 Tiger mit auf eine Europareise zu nehmen, für die Armee organisierte er Truppentransporte in Ägypten, und ein vergrämter Ehemann bat um Mitteilung wo denn "ein britischer Untertan vor einem Teufel von Weib Ruhe finden könne, möglichst in mildem Klima, für mäßige Kosten und mit vielen Früchten".

Heute ist das Unternehmen nicht mehr in Familienbesitz, sondern gehört einer britischen Bankengruppe. Aber dennoch, der Ruf als Bahnbrecher ist geblieben.


Autor: Ramón Garcia-Ziemsen
   
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