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12.10.1986: Verständigung von Reykjavik
Am 12. Oktober 1986 beendeten der US-amerikanische Präsident Ronald Reagan und der Generalsekretär der UdSSR Michail Gorbatschow ihre Gespräche in der isländischen Hauptstadt Reykjavik.

An diesem Tag war ein Treffen zu Ende gegangen, dem erst viel später das Prädikat "historisch" zu Teil werden sollte. Die Beobachter in Reykjavik und die Kommentatoren in aller Welt waren sich zunächst gar nicht sicher, ob das Treffen nicht vielleicht sogar ein Fehlschlag gewesen war, schließlich hatte es nicht einmal ein gemeinsames Schlusscommuniqué gegeben.

Von Reykjavik nach Moskau zurückgekehrt, hielt Michail Gorbatschow eine sechzigminütige Ansprache an das sowjetische Volk, in der er seine Gespräche mit Reagan erläuterte. Er begann mit der Feststellung: "Buchstäblich zwei, drei Schritte vor Beschlussfassung, Fassung von Beschlüssen, die historisch hätten werden können, wurden diese Schritte nicht getan. Die Wende in der Weltgeschichte fand nicht statt, obwohl, ich sage es nochmals, obwohl es möglich war."

Dabei war allein die Tatsache, dass sich Michail Gorbatschow und Ronald Reagan überhaupt trafen, schon ein Erfolg, galt doch der amerikanische Präsident als Kommunistenhasser, ein ausgewiesener kalter Krieger.

Reagans Äußerung, wonach die Sowjetunion das "Reich des Bösen" seien, waren ebenso unvergessen wie sein leicht missverständlicher Humor. So hatte er einmal vor einem öffentlichen Auftritt und nicht wissend, dass die Mikrophone bereits übertrugen und aufzeichneten, gesagt, er habe soeben den Befehl gegeben, die Sowjetunion zu bombardieren. Darüber konnte verständlicherweise nicht jeder herzlich lachen.

Das gespannte Verhältnis der beiden Staatsmänner war auch ein Grund für die Wahl Reykjaviks als Tagungsort. Beide hatten nicht in das Land des jeweils anderen fahren wollen. Island aber, obwohl NATO-Mitglied, lag wenigstens geographisch etwa in der Mitte, so dass diese Wahl nicht gleich einem Gesichtsverlust des einen oder anderen gleichkam.

Für den US-Präsidenten war Islands Hauptstadt allerdings auch geschichtlich prädestiniert, wie er vor amerikanischen Soldaten erklärte. Der kalte Krieger Reagan zog dabei eine Parallele zum Zweiten Weltkrieg, als von Island aus der Kampf gegen die deutschen U-Boote geführt wurde: "Jene Operationen, die von dieser Insel aus durchgeführt wurden, waren in dem Krieg von entscheidender Bedeutung. In Churchills Worten: Die Geleitzüge wurden immer effizienter, und in dem Maße, wie sie mächtiger wurden, verloren die deutschen U-Boote an Macht. War Island schon damals wichtig für die Sache der Freiheit, ist es das heute noch viel mehr!"

Beim Reykjaviker Treffen war es vor allem darum gegangen, dass sich die beiden Politiker näher kennen lernen und Vorbehalte abbauen konnten. Dass und worüber man sich einigen könnte, war nicht vorher festgelegt worden, um keinen zu großen Druck zu erzeugen.

Denn Probleme gab es genug. Da waren auf der einen Seite die SS20 Raketen Moskaus, Mittelstreckenwaffen, die ganz Westeuropa bedrohten und auf der anderen Seite SDI, die weltraumgestützte Raketenabwehr, die die US-Amerikaner gerade entwickelten.

Das Problem der Mittelstreckenwaffen war bekannt und im Prinzip verhandelbar. Notfalls würde Moskau seine SS20 aufstellen, der Westen entsprechend seine Pershing-Raketen, und der Status Quo hätte sich nicht groß geändert.

Doch SDI war etwas anderes. Dies war ein rein defensives System, lediglich zur Raketenabwehr entwickelt. Doch ein System, dass es einer Seite erlaubte, der anderen den Einsatz ihrer Waffen unmöglich zu machen, war schließlich auch eine Bedrohung, nicht nur in den Augen der Sowjetmarschälle.

Dass es zu keinem Verhandlungsergebnis gekommen war, verschwieg auch Reagan nicht. Doch drückte er sich diplomatischer aus als sein russischer Kollege: "Die Gespräche, die wir gerade beendet haben, waren hart und ich muss sagen ausgesprochen nützlich. Mr. Gorbatschow und ich sprachen frei über unsere Meinungsverschiedenheiten."

Im Gegenteil, zunächst hob er die Punkte heraus, in denen man sich einig gewesen war.

Reagan: "In verschiedenen kritischen Punkten machten wir größere Fortschritte als erwartet. Wir näherten uns einer Einigung bei der drastischen Reduzierung von Mittelstreckenwaffen in Europa und Asien. Wir einigten uns auf eine starke Reduzierung der strategischen Arsenale beider Länder. Wir haben auch Fortschritte auf dem Gebiet der Atomwaffentests gemacht."

Schließlich stellte Reagan dar, woran eine Verständigung mit Gorbatschow gescheitert war.

Reagan: "Die Sowjetunion bestand darauf, dass wir einen Vertrag unterzeichnen, der mir und den Präsidenten, die nach mir kommen werden, das Recht nähme, eine Abwehr zu entwickeln und zu installieren, die die freie Welt vor Atomwaffenangriffen schützen sollen. Das haben wir nicht getan, und das werden wir nicht tun!"

Doch bevor sich Reagan und Gorbatschow trennten, wollten sie noch einmal, länger als geplant also, miteinander sprechen. Bei dieser Verlängerung kam plötzlich ein Vorschlag Reagans auf den Tisch, der nicht nur Gorbatschow erstaunte. Auch von amerikanischer Seite war dieser Vorschlag so nicht vorgesehen gewesen. Reagan formulierte seinen Alleingang nachher so: "So machte ich dann am späten Nachmittag dem Generalsekretär einen völlig neuen Vorschlag: Ein zehnjähriges Aussetzen der Entwicklung von SDI und im Gegenzug die komplette Vernichtung aller Raketen aus den jeweiligen Arsenalen unserer beiden Nationen!"

Dieser letzte und unerwartete Vorschlag sollte dann jedoch, auf lange Sicht, das Eis brechen. Das Treffen von Reykjavik hatte so zwei Ziele erreicht: Zum einen waren sich Reagan und Gorbatschow menschlich näher gekommen und hatten das gegenseitige Misstrauen abgebaut. Zum anderen hatte es hier einen echten Durchbruch beim Versuch gegeben, den kalten Krieg zu überwinden.

Zum ersten Mal hatten die Führer beider Supermächte öffentlich ihre Bereitschaft erklärt, bereits vorhandene Waffen zu vernichten. Diese Maßnahmen, die später verhandelt und dann tatsächlich durchgeführt wurden, waren der Beginn eines vertrauensvollen Umganges miteinander.

Ohne die "Verständigung von Reykjavik" wäre es beim Zusammenbruch des Warschauer Paktes mit großer Sicherheit nicht meistenteils friedlich zugegangen. Auch die deutsche Einheit hätte ohne das Treffen im Oktober 1986 so wohl nicht stattfinden können. Erst vor diesem Hintergrund sind die Worte Gorbatschows, mit der er seine Ansprache an das sowjetische Volk beendete, mehr als nur eine hohle Phrase geblieben: "Das Sowjetvolk, die sowjetische Führung sind sich einig darin, dass die Politik des Sozialismus eine Politik des Friedens und der Abrüstung ist und sein kann. Ich danke für die Aufmerksamkeit."

Autor: Dirk Ulrich Kaufmann
   
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