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20.4.1998: Rote Armee Fraktion löst sich auf
"Vor fast 28 Jahren am 14. Mai 1970 entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir das Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte. Wir, das sind die, die bis zuletzt in der RAF organisiert gewesen sind. Wir tragen diesen Schritt gemeinsam. Ab jetzt sind wir (...) ehemalige Militante der RAF. (...) Das Ende dieses Projekts zeigt, dass wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte."

Mit diesem Brief an die Nachrichtenagentur Reuters endet am 20. April 1998 die Geschichte der meistgefürchtetsten Terrororganisation Deutschlands. Die Rede ist von der Roten Armee Fraktion, kurz RAF.

Ihre Ursprünge liegen in der Studentenbewegung des Jahres 1968: In Frankfurt verüben Andreas Baader und Gudrun Ensslin zwei Brandanschläge auf Kaufhäuser. Sie wollen damit gegen den Vietnam-Krieg demonstrieren. Beide werden zu je drei Jahren Haft verurteilt, aber schon 1969 wieder freigelassen.

Nachdem Andreas Baader ein Jahr später erneut verhaftet wird, befreit ihn ein Kommando um die Journalistin Ulrike Meinhof. Die Befreiungsaktion ist die Geburtsstunde der linksextremistischen Roten Armee Fraktion, RAF. Nach ihren beiden führenden Köpfen wird sie auch Baader-Meinhof-Gruppe genannt.

In den folgenden Monaten lassen sich die RAF-Mitglieder in Jordanien von palästinensischen Guerilla-Kämpfern im Terror-Handwerk ausbilden. Den ideologischen Unterbau liefern die vom argentinischen Revolutionär Che Guevara inspirierten Stadtguerillas aus Südamerika.

Mit ersten Bombenanschlägen trifft die RAF den konservativen Springer-Verlag in Hamburg und das Hauptquartier der europäischen US-Streitkräfte in Heidelberg. Damit soll die marktwirtschaftliche, liberaldemokratische Bundesrepublik in ihrem Kern getroffen werden. Doch im Juni 1972 erleidet die RAF einen ersten Rückschlag. Innerhalb von zwei Wochen verhaftet die Polizei die komplette RAF-Führungsriege.

Die Rote Armee Fraktion ist damit aber nicht am Ende: Eine zweite Terroristen-Generation setzt den "antiimperialistischen Kampf" fort. Der Höhepunkt des Terrors wird 1977 erreicht: Die RAF ermordet Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Dresdner Bank-Chef Jürgen Ponto und Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer.

Außerdem entführt ein RAF-Kommando eine Lufthansa-Passagiermaschine nach Somalia, um ihre inhaftierten Gesinnungsgenossen freizupressen. Der Coup schlägt fehl: Die Sondereinheit des Bundesgrenzschutzes GSG-9 beendet die Entführung. Daraufhin begehen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe in ihren Gefängnissen Selbstmord, Ulrike Meinhof hatte sich bereits ein Jahr zuvor erhängt.

Als Reaktion auf den Terrorismus verschärft der Staat seine Fahndungsmethoden. So werden echte und vermeintliche Terroristen in jedem Postamt Deutschlands steckbrieflich gesucht. Äußerst umstritten ist eine ganze Reihe von Sondergesetzen, die im Kampf gegen den Terrorismus erlassen werden: darunter die Kronzeugen-Regelung, die Reuewilligen Straffreiheit verspricht, und das Kontaktsperregesetz, durch das Häftlinge völlig von ihrer Außenwelt isoliert werden können. Weiter erleichtern Gesetze das Durchsuchen von Wohnungen, verschärfen die Meldepflichten und führen fälschungssichere Personalausweise ein. Alle Regelungen bestehen bis heute fort.

In den 1980er-Jahren verliert die RAF an Rückhalt. Zahlreiche Aussteiger tauchen in die DDR ab. Mit der Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit, der Stasi, leben sie dort unerkannt bis zur deutschen Einheit. Dennoch gibt es noch vereinzelte Anschläge: 1989 ermordet die RAF den Deutsche Bank-Vorstandsvorsitzenden Alfred Herrhausen und zwei Jahre später Detlef Rohwedder, den Chef der Treuhandanstalt zur Privatisierung der DDR-Wirtschaft. Bei beiden Anschlägen ist bis heute aber unklar, ob sie tatsächlich auf das Konto der RAF gehen.

1992 verzichtet die Rote Armee Fraktion schließlich darauf, Anschläge gegen Personen zu verüben; bis dahin hatte sie etwa 30 Menschen getötet.

Bereits ein Jahr später rückt die RAF erneut ins Rampenlicht: Im März zerstört sie in ihrem letzten spektakulären Bombenanschlag das neu gebaute Gefängnis im hessischen Weiterstadt. Der Schaden beträgt 50 Millionen Euro. Im Juni des selben Jahres verhaftet die Polizei im mecklenburgischen Bad Kleinen die RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams. Dabei wird Grams unter nie ganz geklärten Umständen erschossen. Sein Tod führt in linksalternativen Kreisen zu einer letzten Solidarisierungswelle mit der RAF.

Den Niedergang der Roten Armee Fraktion kann dies aber nicht mehr stoppen. Eine Tatsache, der sich auch die RAF selbst nicht verschließen konnte. Konsequenz ist das Schreiben an die Nachrichtenagentur Reuters vom 20. April 1998, in dem sich die RAF selbst für aufgelöst erklärt.


Autor: Johannes Beck
 
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