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11.3.1990: Litauen unabhängig |
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Das Votum war eindeutig. 142 Abgeordnete des litauischen Parlamentes stimmten für die Unabhängigkeit, Gegenstimmen gab es keine. Sechs Enthaltungen stammten von orthodoxen Kommunisten aus der polnischen Minderheit. Damit hatte Litauen sich als erste der drei baltischen Republiken von der Sowjetunion losgesagt. Vytautas Landsbergis, der damalige Parlamentspräsident, schildert das in seinen Erinnerungen so: "Vor dem Parlament hatten sich Menschen versammelt, alle gratulierten, beschenkten uns mit Blumen. Es waren nicht besonders viele, denn weder hatten wir sie eingeladen noch verkündet, dass wir an diesem Tag die Unabhängigkeit wiederherstellen würden - wir wollten es nicht vor den Augen der Welt und schon gar nicht vor denjenigen Moskaus tun."
Begonnen hatte das Ganze weniger als zwei Jahre zuvor im Frühsommer 1988. Damals vereinigten sich verschiedene Gruppen und Strömungen zu einer litauischen Bewegung für die Perestroika, also jenen gesellschaftlichen Umbau, den Michail Gorbatschow der Sowjetunion verordnen wollte. Sie nannte sich Sajudis und gewann schnell Ansehen und damit auch Einfluss in Litauen.
Das zeigte sich schon ein Jahr später bei den Wahlen der litauischen Abgeordneten für den Kongress der sowjetischen Volksdeputierten. Im Zeichen von Perestroika und Glasnost sowie unter dem Einfluss des gemäßigten litauischen KP-Chefs Algirdas Brazauskas hatten auch Mitglieder von Sajudis kandidieren dürfen. Ihr Erfolg war durchschlagen: Sajudis gewann 36 Sitze, die Kommunistische Partei Litauens gerade einmal sechs.
Dieser Erdrutsch hatte zwar keine Auswirkungen auf den ohnehin machtlosen Kongress der sowjetischen Volksdeputierten, wohl aber auf die Arbeit des Parlamentes der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen. Dort hatten die direktgewählten Volksdeputierten zwar kein Stimmrecht, durften aber mitberaten. Ein Recht, von dem die Sajudis-Vertreter reichlich Gebrauch machten. Vytautas Landsbergis schreibt in seinen Erinnerungen: "Unser Ziel war klar, der immer eindeutigere Weg in die Unabhängigkeit. Wir lernten die Perestroika für unsere Zwecke nutzen. Die anfangs mit ihr verbundenen Illusionen schwanden schnell dahin. Wir hegten auch Illusionen bezüglich einer unabhängigen Wirtschaft, wie sie die Sowjets anboten, allerdings nur, um damit unsere Initiative zu brechen."
Der litauische Sowjet fasste bereits eine Reihe von Beschlüssen, die die spätere Unabhängigkeit vorbereiteten. So ein Gesetz über die litauische Staatsangehörigkeit, über Litauisch als Amtssprache und erste Schritte in Richtung auf eine Privatisierung der Landwirtschaft. Auf so vorbereitetem Boden gedieh der Erfolg, bei den Wahlen im Februar und März 1990 gewann Sajudis 95 von 141 Sitzen.
Am 10. März trat der litauische Sowjet zusammen und bestimmte sich selbst zum Obersten Rat Litauens, was zugleich das Ende der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen bedeutete. Bereits 1989 hatte man in den Reihen von Sajudis den Entwurf einer Verfassung vorbereitet, der jetzt innerhalb einer Nacht den Gegebenheiten des Jahres 1990 angepasst wurde.
Am nächsten Tag, dem 11. März 1990, einem Sonntag, gab das Parlament in einem komplizierten Verfahren dem litauischen Volk eine neue Verfassung. Zunächst wurde die sowjetische Verfassung für nichtig erklärt und die alte Verfassung Litauens aus dem Jahr 1938 wieder in Kraft gesetzt. Dann wurde sie suspendiert und ein Grundgesetz als neue, provisorische Verfassung verabschiedet. Den tieferen Sinn dieses vermeintlichen Umweges erläutert Landsbergis in seinen Erinnerungen: "Litauen war von der Sowjetunion okkupiert worden. Nach dem zwangsweisen Anschluss an die Sowjetunion wurde es nie eine legale sowjetische Republik. Nun stellen wir das unabhängige Litauen, dessen Existenz 1940 unterbrochen worden war, wieder her und setzen es fort - deshalb formal der Anschluss an die Verfassung Litauens von 1938 - mit der Einführung einer neuen, zeitgemäßen, wenn auch vorläufigen Verfassung, der Verfassung eines unabhängigen Staates, die die Verfassung der UdSSR in Litauen ungültig macht."
So geschah es. Doch erst anderthalb Jahre später im August 1991, als Boris Jelzin Michail Gorbatschow nach einem Putschversuch orthodoxer Kommunisten ablöste, wurden Litauen, wurden Lettland und Estland wirklich souverän.
Autor: Wolter von Thiesenhausen
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