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5.3.1903: Eisenbahn Konstantinopel-Bagdad |
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Abdel Hamid II. tritt 1876 an Stelle seines geisteskranken Bruders Murad als 24. Sultan an die Spitze des Ottomanischen Reiches. Den Niedergang dieses einstigen Weltreiches aber kann er nicht mehr stoppen: Aufstände auf dem Balkan, Kriege mit Russland und Griechenland, Gebietsverluste in Nordafrika und im Mittleren Osten und wachsendes Interesse wie auch Einmischung der Europäer in das Geschehen am Bosporus machen ihm das Leben sicher nicht leicht.
Die rücksichtslose Unterdrückung der Armenier wie auch andere Maßnahmen zur Rettung des Reiches vor dem immer deutlicher werdenden Zusammenbruch können durch Reformansätze nicht wettgemacht werden, die der Sultan macht - teils unter ausländischem Druck, teils aus eigener Einsicht.
Wenigstens im Nahen und Mittleren Osten will Abdel Hamid das Reich retten, das sich bis in die Arabische Halbinsel und bis nach Mesopotamien erstreckt. Dabei trifft es sich gut, dass der weltliche Herrscher, der "Sultan", auch "Kalif" ist - das geistliche Oberhaupt der Moslems in seinem Herrschaftsbereich. Abdel Hamid lässt die "Hejaz-Bahn" bauen, ein beachtliches Projekt, das Pilger nach Mekka und Medina bringen soll; aber natürlich auch in der Lage wäre, Truppen, Waffen und anderes Material in gefährdete Teile des Reiches zu bringen.
Und weil es auch weiter im Osten nicht gerade gut steht um die Treue zu Konstantinopel, beschließt der Sultan, auch eine Bahnlinie nach Bagdad und dann weiter zum Shat-el-Arab und dem Persischen Golf bauen zu lassen. Die Bahn soll den östlichen Teil des Ottomanischen Reiches wirtschaftlich erschließen. Aber auch hier spielt natürlich die militärische Strategie mit, per Schiene lassen sich Truppen und schweres Gerät nun einmal schneller verlegen.
Nur solch ein Projekt kostet Geld, viel Geld. Und das hat der Sultan nicht. Bereits 1888 lässt er deswegen in Deutschland anfragen, ob man nicht bereit sei, sich an dem Projekt zu beteiligen. Man ist zunächst misstrauisch, dann aber kommt in Berlin der Traum auf, dieses Projekt könne Teil einer gigantischen Bahnlinie von Berlin nach Bagdad werden und deutsche Macht wie deutsches Ansehen bis an Euphrat und Tigris und dann bis an den Persischen Golf voranbringen.
Deutschland sagt zu: Weitgehend finanziert durch die Deutsche Bank und unter Federführung der Frankfurter Firma Philipp Holzmann werden die Bauarbeiten aufgenommen und in atemberaubendem Tempo vorangetrieben. 600 Kilometer über mehr als unwegsames Gelände sind in vier Jahren fertiggestellt. Aber da ist man erst in Ankara. Vier Jahre später sind weitere 400 Kilometer geschafft, als man 1896 in Konya ankommt.
Dann aber wird es problematisch, denn auch andere Staaten haben die Bedeutung des Projekts erkannt, besonders Russen und Briten. Und sie behindern es, um Deutschlands Einfluss in der Region nicht wachsen zu lassen. "Ich pfeife auf diese Konzession und die ganze Bagdadbahn", schimpft Georg von Siemens von der Deutschen Bank 1898, und er bietet das Projekt den Russen an. Die aber lehnen ab.
Am 5. März 1903 wird die Konzession für die Eisenbahn einem neu gegründeten internationalen Konsortium übertragen, der "Anatolischen Eisenbahn-Gesellschaft", einer Gesellschaft nach türkischem Recht, aber mehrheitlich im Besitz der Deutschen Bank. Endlich kann weitergebaut werden. Aber jetzt geht es nur noch langsam voran, die nächsten 600 Kilometer sind erst 1914 fertig.
Man ist immer noch 650 Kilometer von Bagdad entfernt und der Erste Weltkrieg bricht aus. Deutschland und die Türkei sind Verbündete, und Großbritannien nutzt die Gelegenheit, von Indien her Truppen in den Persischen Golf zu verlegen und von dort seine Ansprüche auf das nicht nur wegen seiner Ölvorkommen wichtige Zweistromland zu erheben.
Die Briten nützen die Bestrebungen der Araber, sich aus dem Ottomanischen Reich zu lösen. Sie gebieten Deutschlands Vordringen in die Region Einhalt, und sie sichern sich auf Jahrzehnte hinaus Zugriff auf die reichen Bodenschätze der Gegend - das Öl.
Von einer Eisenbahn Berlin-Bagdad spricht niemand mehr. Deutschland und mit ihm die Türkei haben den Ersten Weltkrieg verloren. Die Briten sind bereits 1917 bis nach Bagdad vorgedrungen und erhalten Mesopotamien ein Jahr später als Mandatsgebiet zugesprochen. Erst 1932 wird der Irak als selbständiger Staat in den Völkerbund aufgenommen - freilich bleibt er auf Jahrzehnte hinaus unter britischem Einfluss. Und erst nach seiner Unabhängigkeit 1936 nimmt der Irak die Bauarbeiten für die verbliebene Reststrecke der Eisenbahn auf.
Am 15. Juli 1940 fährt der erste Zug in Bagdad ein. Offiziell ein Reisezug, aber auch diesmal ist hier nicht in erster Linie ein ziviles Verkehrsmittel in Betrieb genommen worden, sondern auch jetzt hat die Bagdadbahn in erster Linie strategische Bedeutung. Denn inzwischen ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen.
Und an den 24. Sultan des Ottomanischen Reiches. Abdel Hamid II. denkt niemand mehr: Der war schon vor dem Ersten Weltkrieg abgesetzt und die Türkei zur Republik ausgerufen worden.
Autor: Peter Philipp
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