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19.1.1915: Luftschiffe bombardieren London
Am 19. Januar 1915, der Erste Weltkrieg tobt seit gut sechs Monaten, werfen deutsche Soldaten von Zeppelinen Bomben über London ab. Insgesamt fahren kaiserliche Luftschiffe in den folgenden Jahren 51 Angriffe gegen England, 58 Soldaten und 500 Zivilisten verlieren ihr Leben.

Gemessen an den Opfern durch Luftangriffe während des Zweiten Weltkrieges mögen die Verluste relativ niedrig erscheinen, doch verändert der 19. Januar 1915 den Krieg völlig, wie der deutsche Historiker Olaf Groehler später schrieb: "Dies bedeutet einen Bruch mit dem Bild vom Kriege, das sich Millionen Menschen bisher gemacht hatten. Die scharfe Trennung zwischen Front und Hinterland war plötzlich fragwürdig. Große Teile der Bevölkerung wurden sich bewusst, dass sie in einem Krieg genauso wie die Soldaten an der Front Angriffsziele waren."

Den Luftkrieg möglich gemacht hat Ferdinand Graf von Zeppelin. Als 25-Jähriger lässt er sich vom württembergischen König als Beobachter in den US-amerikanischen Sezessionskrieg schicken. Dort steigt er mit einem Gas-Ballon auf und studiert begeistert die Vorteile der Feinderkundung aus sicherer Höhe und notiert: "Kein Mittel ist geeigneter, um rasch den Plan einer unbekannten und namentlich einer obendrein vom Feinde besetzten Gegend aufzunehmen."

Gefährlicher technischer Unsinn in Kolossalform

Felsenfest glaubt der Jüngling an die hehren Ziele des Militärs - und der technische Fortschritt gedeihe seines Erachtens unter kriegerischen Bedingungen am besten. Er selber baut in den kommenden Jahren mit Hilfe einflussreicher Freunde und Förderer für die gigantische Summe von 800.000 Reichsmark das Luftschiff LZ 1.

Als sich am 2. Juli 1900 die silberne Zigarre über den Bodensee erhebt, fällen die Fachleute ein vernichtendes Urteil: "Technischer Unsinn in Kolossalform". Doch sein Erfinder, Graf Zeppelin, lässt sich nicht beirren: "Meine Fahrzeuge werden bald zu den betriebssichersten Fahrzeugen zählen."

Bis zum LZ 4 ging auch alles gut. Dieses Ungetüm aber stürzte auf einer Erprobungsfahrt in Stuttgart-Echterdingen ab. Eine Katastrophe, die den Startschuss für eine ungeahnte Blüte der Luftschiffindustrie geben sollte. Mit Hilfe der deutsch-nationalen Presse gelingt es Zeppelin, die größte Spendenaktion des Reiches anzukurbeln. Fast sieben Mio. Reichsmark kommen zusammen, der Graf wird zum Volkshelden. Ein Zeitzeuge erinnert sich: "Ich erinnere mich noch damals als Schulbub, da haben wir Fünf-Pfennigweise gesammelt. Die Lehrer haben uns dazu aufgerufen und gesagt, dass auch die Soldaten von ihren 22 Pfennig Sold noch fünf Pfennig dazugegeben haben."

Ein großes Geschäft für die Zeppelinwerke

Hinzu kommen beachtliche staatliche Subventionen, denn längst haben die Militärs erkannt, dass hier eine großartige Waffe für den Kampf gegen England und Frankreich heranreift. Der Erste Weltkrieg ist dann das große Geschäft für die deutschen Zeppelinwerke. Hatten Heer und Marine zwischen 1909 und August 1914 nur 13 Militärluftschiffe erworben, orderten sie während des gut vierjährigen Krieges 88 der Ungetüme.

Begeistert dient sich der 76-jährige Graf dem deutschen Kaiser Wilhelm II. noch als Frontflieger an: "Aller Durchlauchtigster, mächtiger Kaiser. In Deutschland erwartet man allgemein, dass ich den ersten Flug über London mitmache. Sollte Eure Majestät für wünschenswert erachten, so würde ich mich mit stolzer Freude an dem Flug beteiligen. Aller untertänigster treu gehorsamster Dr. Graf von Zeppelin, General der Kavallerie."

Zu Beginn des Krieges hatte sich der deutsche Monarch wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu England noch strikt geweigert, die Insel aus der Luft anzugreifen. Schnell aber gab er dem Druck seiner Generäle nach. Die einzige Bedingung die er stellte: Bestimmte Bereiche, zu denen selbstverständlich der Buckingham-Palast gehörte, dürften niemals, auch nicht aus Zufall, getroffen werden.

Gigantische, fliegende Zielscheiben

Eine unsinnige Forderung, wie die Praxis schnell zeigte. So notierte ein Luftschiffkapitän eher amüsiert, dass er bei einer nächtlichen Angriffsfahrt "keine Ahnung" gehabt habe, welche englische Stadt sie eigentlich bombardiert hätten, erst aus einer englischen Zeitung sei dies zu erfahren gewesen.

Doch die Entwicklung der gegnerischen Flugabwehr kam rasch voran. Schnell wurden die schillernden Zigarren zu gigantischen fliegenden Zielscheiben. Jeder Schuss ein Treffer, jeder Treffer ein Absturz. Die Verluste schnellten so in die Höhe, dass sich die Generalität noch vor Kriegsende entschloss, die unförmigen Würste aus dem Verkehr zu ziehen.


Autorin: Gerda Gericke
   
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