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27.12.1982: Computer: "Mann des Jahres"
Er kann fast alles - zum Beispiel Fakten verarbeiten, Autos lenken, Satelliten steuern, er kann blitzschnell rechnen, verwaltet Daten, bestimmt Dosierungen diverser Substanzen, hat ein extrem gutes Gedächtnis, er spielt Schach, und wenn er gewinnt, grinst er nicht hämisch. Seinen Körper hüllt er meist in Plastik und ist häufig in Begleitung einer grauen Maus.

Die Rede ist vom Mann des Jahres 1982, der vom US-amerikanischen Nachrichtenmagazin TIME ermittelt wird. Es handelt sich dabei um eine Person, die in dem jeweiligen Jahr den größten Einfluss auf die Geschichte gehabt hat. 1981 ist das der polnische Arbeiterführer Lech Walesa. Und 1982, am 27. Dezember, wählt TIME den Computer zum Mann des Jahres, genauer gesagt zur "Maschine des Jahres."

TIME hat sich nicht geirrt, denn der Einfluss des Computers auf die Geschichte ist ähnlich bedeutungsvoll wie die Entwicklung des Buchdrucks im späten Mittelalter oder die Erfindung der Dampfmaschine. Hat jene das Industriezeitalter ins Leben gerufen, so läutet der Computer die Dienstleistungsära ein.

Der Entwicklung des Computers liegt der faustische Wunsch nach einem Homunkulus zugrunde, denn die Menschen wollen seit jeher Leben erschaffen, die Evolution beeinflussen. Genmanipulation, künstliche Gebärmutter und künstliche Intelligenz sind vorläufige Ergebnisse dieser Forschung, die sehr weit in die Vergangenheit reicht:

Um 3000 vor Christus wird in Babylon ein Staubbrett als Rechenhilfe genommen, im Alten China gibt es bereits einen Dualcode und 300 vor Christus einen Abakus. 400 Jahre später erfindet Heron von Alexandria eine Programmwalze mit gespeichertem Ablaufprogramm. Die Forschungen schreiten kontinuierlich voran: zuerst sind indische und arabische Wissenschaftler daran beteiligt, im hohen Mittelalter dann vor allem europäische Forscher. Es folgen Rechenschieber, Logarithmentafel und im 17. Jahrhundert eine erste zahnradgetriebene Rechenmaschine.

Ein weiterer Grundstein wird im 19. Jahrhundert mit der Booleschen Algebra gelegt - sie ist ein logisches System mit allgemein gültigen Bedingungen, unter denen Behauptungen mit UND, ODER und NICHT verknüpft werden. Dadurch kann ermittelt werden, ob die Behauptung wahr oder falsch ist. George Boole wird damit zum Begründer der formalen Logik.

Die Boolesche Algebra bringt der US-amerikanische Mathematiker Claude Elwood Shannon Mitte des 20. Jahrhunderts in Verbindung mit elektronischen Schaltungen und dem Dualsystem, das der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm v. Leibniz schon im 17. Jahrhundert ersonnen hat. Dadurch werden alle Behauptungen entweder als richtig oder als falsch behandelt. Richtig wird durch die Dualzahl 1, Falsch durch die Dualzahl 0 dargestellt, für den elektronischen Schaltkreis heißt das "Spannung oder Nichtspannung". KW Shannon prägt auch den Begriff bit, eine Abkürzung für binary digit, die kleinste Informationseinheit, die den Wert 1 oder 0 haben kann.

Zwischen den beiden Weltkriegen schreiten die mechanischen Rechenkünste voran, denn der elektronische Computer liegt noch in der Wiege: 1931 erfindet der US-Amerikaner Vannevar Bush den Differential-Analysator, eine Maschine, die analog arbeitet und Gleichungen mit bis zu 16 Variablen berechnen kann. Sie ist ein 100 Tonnen schweres Monster mit 150 Motoren, 2.000 Röhren, einigen tausend Relais und etwa 200 Meilen elektrischen Leitungen.

1937 schreibt der Bauingenieur Konrad Zuse in sein Tagebuch: "Seit etwa einem Jahr beschäftige ich mich mit dem Gedanken des mechanischen Gehirns. - Entscheidender Gedanke 19. Juni 37. Erkenntnis, dass es Elementaroperationen gibt, in die sich sämtliche Rechen- und Denkoperationen auflösen lassen."

Das Ergebnis seiner Erkenntnis ist der ZUSE Z3, der erste Rechenautomat der Welt, der elektromechanisch arbeitet, frei programmierbar und bereits voll funktionstüchtig ist. Ein Studienfreund Zuses beschreibt eine Vorführung des Geräts im Mai 1940: "In einem großen Wohnzimmer, im Jugendstil möbliert, stand ein mechanisches, undefinierbares Etwas, zusammengebaut aus Blech, Stabilbaukasten-Einzelteilen, Glasplatten, Kurbelarmen, Zahnrädern und einer Programmwalze wie bei einem Glockenspiel, in der Größe eines Esstisches für acht Personen. (...) Wie jeder Besucher musste auch ich den Wert einer Determinante dritten Grades aus selbst gewählten vierstelligen Zahlen mit Hilfe von Bleistift und Papier ausrechnen. Dann wurde feierlich ein Motorgetriebener Drehschalter mit Segmenten und Schleifkontakten eingeschaltet, die von mir gewählten Zahlen mit Drucktasten in den Rechner eingegeben, und dann begann ein Klicken und Klappern von Relais, Stampfen und Rattern von Drehwählern und nach etwa einer Minute wurde an einem Lampenfeld das Ergebnis angezeigt."

Ab 1939 verwendet der "Complex Number Computer" Lochstreifen als Datenträger, der Rechner kann über eine Telefonleitung Rechnungen ausführen - vermutlich der erste Fall von Datenfernübertragung. Wissenschaftler vom British Post Office stellen 1942 den ersten Digitalrechner COLOSSUS vor, der dem britischen Geheimdienst hilft, die deutschen Militärcodes der ENIGMA-Chiffriermaschine zu knacken. Wie alle technischen Innovationen werden natürlich auch die Rechenmaschinen militärisch genutzt - das Internet beispielsweise ist ein Produkt des Pentagons.

Die erste vollelektronische Rechenanlage der Welt heißt ENIAC und füllt ein ganzes Zimmer mit über 18.000 Röhren. Das Gerät ist teuer, unhandlich und verschwendet Energie. Doch die Rechenleistungen des Computers werden kontinuierlich vergrößert, die Speicher dagegen enorm verkleinert. Nur wenige Jahre später, 1982, in dem Jahr als der Computer zum Mann des Jahres gekürt wird, passt das Rechenpotential des ENIAC auf eine Handfläche und kostet zwischen umgerechnet 6 und 100 Euro. Mikroelektronik heißt das Zauberwort.



Autorin: Sabine Ochaba
   
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