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6.3.1983: "Die Grünen" im Bundestag
Die Glocken der Bonner Universitätskirche läuteten am 29. März 1983 nicht nur die Abgeordneten des neu gewählten Deutschen Bundestages zusammen, sondern auch das Ende des bis dahin de facto bestehenden Drei-Parteien-Systems ein. Etwa drei Wochen zuvor, am 6. März, hatten mehr als zwei Mio. Menschen der Partei "Die Grünen" über die Fünf-Prozent-Hürde geholfen. Erstmals konnte die schon in mehreren Landtagen vertretene Alternativpartei 18 Männer und zehn Frauen in das Deutsche Bundesparlament schicken.

Statt Kirchgang rollten die grünen Neuparlamentarier eine Erdkugel durch die Bonner Innenstadt zum Regierungsviertel. Frieden, Umwelt, Verantwortung für die eine Welt - dafür stand die erst drei Jahre zuvor aus einer Vielzahl von Bewegungen und Gruppen hervorgegangene Partei.

Mit Sonnenblumen und frischem Wind

Vor dem Bundestag erklärte Petra Kelly, damals eine der drei SprecherInnen der Grünen, in der ihr eigenen kämpferischen Verlegenheit: "Weil wir Atomenergie und Atomstaat, Aufrüstung nach innen und außen und die zunehmende Gewalt bei der Austragung von Konflikten in unserer Gesellschaft als unser Leben bedrohend empfinden, und weil wir dies nicht gewaltfrei und widerstandslos als Geschick über uns ergehen lassen wollen, wollen wir uns in die Konfliktaustragung, eben auch im Bundestag einmischen. Und deswegen sehe ich dies als eine Form der Verpflichtung der Bewegung gegenüber, für die wir in den Bundestag einzuziehen, und wir werden sie niemals verraten. Das ist das Versprechen, das ich eigentlich hier persönlich abgeben möchte."

Sprach es und zog mit Sonnenblumen und frischem Wind ins altehrwürdige Parlament ein. Mit von der Partie waren Joschka Fischer, Otto Schily, Marie-Louise Beck, Jürgen Reents und Waltraud Schoppe - um nur einige Namen zu nennen. Mit den Grünen hatten die außerparlamentarischen Bewegungen, Frauen- und Bürgerrechtler, Ökopaxe und Spontis, Schwule und Christen, Alt-Maoisten und Wert-Konservative nun erstmals ein politisches Sprachrohr im Deutschen Bundestag.

"Geistig-moralische Wende"

Die frühen 1980er-Jahre, das waren die Tage der Friedensdemonstrationen, des Protests gegen die Atomkraft und des Widerstandes gegen die Volkszählung. So verschieden die Herkunft der einzelnen Grünen-Parlamentarier, so hoch der Anspruch an Transparenz und Basisdemokratie.

14 Tage lang diskutierte die neue Fraktion unter der strengen Leitung Otto Schilys, was in Bonn nun eigentlich geschehen solle. Wer geht in welchen Ausschuss, was geschieht mit den umgerechnet drei Mio. Euro Steuergeldern für die Fraktionsarbeit? Wie viel darf jeder Abgeordnete der Alternativpartei verdienen, und wie sieht das Verhältnis zu den Nachrückern aus, die nach zwei Jahren die erste Mannschaft auf dem Wege der Rotation ablösen soll?

1983 war aber auch das Jahr des Durchhaltens beim Nato-Doppelbeschluss und der "geistig-moralischen Wende". Helmut Kohl, nach dem Überlaufen der FDP zur Union zum Kanzler gewählt, hatte beides den Deutschen versprochen. Im Bundestag trafen die konservativen und grünen Erneuerer mit nacktem Unverständnis aufeinander.

Eine Partei neuen Typs

Alte und neue Parlamentarier sprachen nicht nur eine andere Sprache, sie trugen auch andere Kleider. Die weißen Turnschuhe Joschka Fischers standen als Symbol für den anderen Stil.

Der damalige Bundeskanzler Kohl ließ keinen Zweifel daran aufkommen, was er von der neuen Kraft im Deutschen Bundestag hielt: "Es ist eine neue Fraktion in dieses Haus eingezogen. Ich habe die ganzen Tage sorgfältig zugehört. Sie sind mit Blumen hierher gekommen, aber sie haben viel Hass gesät in diesen Tagen, in diesem Deutschen Bundestag."

So kontrovers die Beurteilung der Grünen damals im Bundestag, so einig sind sich die Politologen heute in der Bedeutung des erstmaligen Einzug der Grünen in das Bundesparlament: Die Alternativpartei hat den Parlamentarismus nicht neu erfunden, aber belebt. Gleichzeitig machten die Grünen am 6. März den ersten Schritt raus aus der Bewegung hin zu einer Partei neuen Typs.


Autor: Thomas Spang
   
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