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26.9.1945: Lager Friedland eröffnet
Der Ort Friedland erweckt nur selten die Assoziation an eine 9000-Einwohner-Gemeinde in der Nähe von Göttingen. Friedland, das heißt: Grenzdurchgangslager, eingerichtet 1945 von der britischen Militärregierung im südlichsten Zipfel Niedersachsens.

Dort, wo Hessen, Thüringen und Niedersachsen aneinander stoßen, im Dreizoneneck der britischen, amerikanischen und sowjetischen Zone, landeten nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Flüchtlinge. Sie landeten in der geografischen Mitte Deutschlands, direkt an der Bahnlinie, in den leeren Ställen eines Versuchsgutes der Universität Göttingen, die die Ernährungsbasis der deutschen "Rassekrieger" verbessern sollte. Wie im Fall so vieler ähnlicher Standortentscheidungen zur Errichtung von Lagern, war auch hier ein logistischer Vorteil ausschlaggebend: der Gleisanschluss.

Im Laufe eines halben Jahrhunderts sind an die dreieinhalb Millionen Menschen in Friedland aufgenommen und von dort bald in ein neues, allgemeinen besseres Leben entlassen worden: Zunächst waren es über 700.000 Heimatvertriebene aus den einst deutsch besiedelten Landstrichen Ostmitteleuropas.

Von 1949 bis 1955 folgten Wehrmachtssoldaten, die aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren, dann die zurückgebliebenen Angehörigen deutscher Flüchtlinge aus Osteuropa, dann diejenigen, die der DDR aus vielerlei Gründen überdrüssig geworden waren.

Sieht man von den chilenischen und vietnamesischen Flüchtlingen ab, die hier später Zwischenaufnahme fanden, so war es im wesentlichen die ökonomische Krise des Sozialismus, die das Lager zur notwendigen Dauereinrichtung machte. Behördlich bezeichnet werden sie bis heute als Grenzdurchgangslager, abgekürzt "Dulags". Solche "Dulags" hatte es in Deutschland schon lange gegeben: Für Kriegsgefangene, für Juden auf der Zwischenstation in die Vernichtungslager, für Zwangsarbeiter und für Volksdeutsche, die dem "Heim ins Reich" Ruf Hitlers gefolgt waren.

Bis heute steht im Lager Friedland eine grüne Wellblechbaracke, in der schon lange niemand mehr wohnt. In den ersten Jahren wurden hier Lagerinsassen untergebracht, heute sind hier Erinnerungen aufbewahrt. Die Begleittexte behaupten, die vergilbten Bilder zeigten Heimkehrer und Flüchtlinge. Doch zeigen sie mehr: Jedes Bild ist ein Dokument des Verbrechens, das die Deutschen über Europa brachten, jedes Bild berichtet von der Katastrophe, in die die Deutschen den Kontinent stürzten und in der sie am Ende selbst versanken. Damals haben die Geschichten vom Unglück begonnen, die man sich bis heute in Friedland erzählt.

Das Lager Friedland sollte 55 Jahre nach seiner Entstehung geschlossen werden. Ausgerechnet Friedland, das seit 1945 fast 3,6 Millionen Flüchtlinge, Aussiedler und Spätaussiedler willkommen hieß, ausgerechnet Friedland, das in Geschichtsbüchern und Zeitungen seit Jahr und Tag als "Tor zur Freiheit" firmiert.

Finanzielle Gründe hieß es aus dem Bundesinnenministerium, es sei zu teuer und zudem laufe die Frist für Spätaussiedler in den kommenden Jahren sowieso ab. Doch die Schließungsabsicht ließ prominente Politiker auf die Barrikaden gehen. Rita Süssmuth, Jürgen Trittin und Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel hatten sich für Friedland eingesetzt.

Bundesinnenminister Otto Schily hat sich im Herbst 1999 schließlich doch für den Erhalt von Friedland entschieden. Als Grund nannte er nicht nur die rund 100.000 Aussiedler, die jährlich erwartet werden, ausschlaggebend sei auch der Respekt vor einem historischen Ort gewesen, der einen hohen Symbolwert in der Nachkriegszeit gewonnen habe.

Das dem Durchgangslager entsprechende Verb lautet in Friedland bis heute "durchschleusen". Doch anders als in anderen Lagern dieses Jahrhunderts war das Ziel stets friedlich: Es nannte sich in bestem Bürokratendeutsch "Eingliederung". Darin lag von Anfang an der Verzicht auf Rache und Grenzrevisionismus. Es war der Wille aller Bundesregierungen, den Heimkehrern und Flüchtlingen zu einer neuen, gesicherten Existenz zu verhelfen.

Autorin: Doris Bulau
   
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