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21.7.1960: Erste Regierungschefin der Welt |
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Sri Lanka, bis 1972 Ceylon, ist eine der schönsten Inseln im Indischen Ozean. Die Natur hat dem Eiland von der Größe Bayerns alle Attribute eines tropischen Paradieses geschenkt. Doch von Frieden und Eintracht sind seine Bewohner, die zu Tode verfeindeten Bevölkerungsgruppen der Tamilen und der Singhalesen, weit entfernt.
Und Politik ist ein mörderisches Geschäft auf Sri Lanka. Sirimavo Bandaranaike weiß das aus schicksalhafter Erfahrung. Am 26. September 1959 wurde vor ihren Augen der Ehemann erschossen, Premierminister Solomon Bandaranaike. Bis zum Mordanschlag war die Frau im Schatten ihres Mannes geblieben. Jahrgang 1916, Tochter eines ceylonesischen Großgrundbesitzers, aufgewachsen in der Geborgenheit einer aristokratischen Oberschichtfamilie mit buddhistischen Werten. Sie absolvierte die Ausbildung an einer katholischen Mädchenschule in der Tradition britischer Kolonial-Etikette, bestens vorbereitet auf die Rolle der Vorzeigefrau, die sich ganz in den Dienst und die Dominanz des Ehemannes fügt.
Das Attentat eines fanatischen buddhistischen Mönchs, erbitterter Gegner der Politik des Regierungschefs, veränderte Sirimavo Bandaranaikes Leben und Wirken radikal und folgenreich. Sie übernahm den Vorsitz der Sri-Lanka-Freiheitspartei, wagte sich in die Kampfarena der Politik und kandidierte für das Amt des ermordeten Ehemannes.
Die erste Frau im höchsten politischen Amt
Ihrer Gefühlsausbrüche wegen machte sie bald von sich reden und wurde als "weinende Witwe" weltweit bekannt. In einer biografischen Wertung heißt es: "Die damals 44-jährige war in politischer Hinsicht extrem unerfahren, als sie sich ihrer Aufgabe stellte. Aber das Ziel stand fest: der Welt zu demonstrieren, dass die Frau in Ausübung der Herrschaft dem Mann überlegen ist."
Im Bündnis mit marxistisch-kommunistischen Parteien gewann Frau Bandaranaike die Wahlen. Am 21. Juli 1960 wurde sie als erste weibliche Ministerpräsidentin der Welt vereidigt. Die erste Frau im höchsten politischen Amte eines Staates.
Auch im damaligen Ceylon keimte Hoffnung auf einen Neubeginn, auf eine Politik mit menschlicheren Zügen. Würde die weibliche Hand beim Regieren zu versöhnlichem Interessenausgleich führen? Würden überhaupt Unterschiede erkennbar?
Von der zweiten Amtszeit zum Entzug der Bürgerrechte
Ihre reichlich und öffentlich fließenden Tränen waren mit einem Mitleidsbonus vom Wählervolk belohnt worden. Bald zeigte Sirimavo Bandaranaike jedoch, dass sie nicht versöhnliche, sondern polarisierende Akzente setzte, machtbewusst und autoritär aufzutreten verstand und das damalige Ceylon ins Lager der damals sozialistisch regierten Staaten führte.
Für die folgenden fünf Jahre bestimmte Frau Bandaranaike die Geschicke des damaligen Ceylon. Und sie tat es im Verein der Familie. Politik wurde als Pfründe und in Vetternwirtschaft betrieben. Die wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die zunehmende Kritik am alles andere als demokratischen Führungsstil brachten die Abwahl im Jahre 1965. Doch Frau Bandaranaike gab nicht auf. 1970 gelang ihr der zweite Anlauf.
Für weitere sieben Jahre regierte sie als Ministerpräsidentin, übernahm zusätzlich das Außen- und Verteidigungsministerium und verfügte über eine Machtfülle, die schließlich ihren Sturz herausforderte. Eine Sonderkommission aus drei Richtern erklärte sie 1980 des Machtmissbrauchs für schuldig. Das Parlament entzog ihr die Bürgerrechte.
Politische Bilanz
Nach vorzeitiger Rehabilitierung kehrte sie in die Politik zurück; und die wurde weiterhin als Familienunternehmen betrieben. Von 1994 bis 2005 stand ihre Tochter Chandrika Kumaratunga als Präsidentin an der Spitze Sri Lankas, die nunmehrige starke Frau der Insel. Tragische Gemeinsamkeit: Auch Chandrika hat ihren Mann bei einem Attentat verloren. Mutter Sirimavo wurde als alte Dame proforma zur Premierministerin ernannt. Sie blieb im Amt bis zu ihrem Tod im Jahr 2000.
Die politische Bilanz der ehedem "weinenden Witwe": Sie trug nicht zur Befriedung der spannungsgeladenen Insel bei. Im Gegenteil. Sie enttäuschte die Hoffnung, als erste weibliche Ministerpräsidentin der Welt eine menschlichere Politik als ihre männlichen Konkurrenten zu machen.
Autor: Rüdiger Siebert |
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