 |
 |
 |
 |
 |
|
30.11.1966: Vorabend der "Großen Koalition" |
|
 |
 |
|
 |
"Nehmen Sie die Wahl an?"- "Ich nehme die Wahl an."
Als Kurt Georg Kiesinger am 1. Dezember 1966 vom Deutschen Bundestag zum dritten Bundeskanzler gewählt wurde, begann eine in der deutschen Nachkriegsgeschichte bislang einzigartige Periode. Denn der Regierung Kiesinger gehörten nicht nur Politiker der Unionsparteien an, sondern auch solche der SPD. Die große Koalition war aus der Taufe gehoben. Vorgesehen war eine solche Konstellation von den sogenannten "Vätern des Grundgesetzes" ganz sicher nicht. Ist doch eine starke Opposition vielleicht der wichtigste Teil einer parlamentarischen Demokratie.
Die Anzeichen, dass die Zeit der christlich-liberalen Regierung zu Ende gehen sollte, waren spätestens seit Ludwig Erhards Amtsantritt 1963 unübersehbar geworden. Denn ausgerechnet in seine Amtszeit fiel die erste Wirtschaftskrise der jungen Republik, und ausgerechnet er konnte ihrer nicht Herr werden. Inflation und vor allem steigende Arbeitslosigkeit führten allen vor Augen, dass sich "Wohlstand für alle" nicht allein dadurch verwirklichen ließ, indem man den Schöpfer dieses Slogans zum Kanzler machte.
Erhard weigerte sich, getreu seinem Credo von den Selbstheilungskräften des freien Marktes, eine aktive Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben. Auch seine eigene Partei warf ihm mangelnde Führungskraft vor und bald machte die Parole von der "führungslosen Demokratie" die Runde.
Doch hatte die Regierung Erhard nicht nur mit der Rezession zu kämpfen, einige Probleme waren hausgemacht. Da war zum Beispiel die FDP. Spätestens nach der Bundestagswahl 1961 hing ihr der Ruf einer Umfallerpartei an, der es lediglich um einen Platz an den Fleischtöpfen der Regierenden ging. Ihr Streben, eigenes Profil zu zeigen, beeinträchtigte die Arbeit der Koalition.
Ein anderer Negativposten auf dem Konto der Regierung Erhard trug den Namen Strauß. Der Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß hatte sich dafür eingesetzt, der Bundeswehr Flugzeuge aus Amerika zu kaufen. Die Beschaffung dieser Maschinen allein war schon von einem nie ganz aufgeklärten Skandal begleitet, doch die Starfighter selber waren auch nicht das, was man sich von ihnen erhofft hatte. Das in kurzer Zeit mehr als 60 Maschinen abstürzten, fiel nicht nur auf Strauß, sondern gleich auf die ganze Regierung zurück.
Nicht nur am Himmel stand das Menetekel, das das Ende der christlich-liberalen Ära verkündete, auch auf den Straßen während Studentendemonstrationen konnte man es hören: "Ho-Ho-Ho-Tchi-Minh."
Im Jahr 1966 liegt auch die Geburtsstunde der Außerparlamentarischen Opposition, der APO. Letzter Anlass für die Studenten auf die Straße zu gehen, war die Entscheidung der Bundesregierung, den Krieg der USA gegen Vietnam zu unterstützen. Seiner Meinung durch lautstarke Demonstration Gehör zu verschaffen, war zu jener Zeit selten geübte Praxis in Deutschland und verunsicherte viele Menschen. Vor allem jene, die noch in einem Obrigkeitsstaat aufgewachsen waren.
Doch waren es dann nicht die Studenten die der Regierung Erhard das Ende brachten. Es war vielmehr die FDP. Im Herbst 1966 brach zwischen den Regierungsparteien Streit um den Haushalt des folgenden Jahres aus. Als die Union verkündete, auch Steuererhöhungen nicht auszuschließen, kam es zum Bruch. Die Liberalen, die dies strikt ablehnten, ließen die Koalition platzen und zogen am 27. Oktober ihre Minister aus dem Kabinett zurück.
Neuwahlen nach nur einem Jahr zu veranstalten stand nicht zur Diskussion. Eine Neuauflage der alten Koalition war nicht denkbar und für eine sozial-liberale Regierung war die Zeit erkennbar noch nicht reif. Also kam nur eine Regierung auf breiter Grundlage, eine christlich-soziale also, in Frage. Mit der Bildung dieser Regierung wurde Kurt Georg Kiesinger beauftragt.
Schon gleich zu Beginn stellte die neue Regierung klar, dass sie sich selbst nur als Übergangslösung verstand. Zu groß war die Skepsis, ob das Regieren ohne starke Opposition der Demokratie nicht eher schaden würde. Bereits in seiner Regierungserklärung stellte der neue Bundeskanzler fest: "Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Missbrauch der Macht ist der feste Wille der Parteien der Großen Koalition, diese nur auf Zeit, also bis zum Ende der Legislaturperiode, fortzuführen."
Noch in den letzten Tagen der Kanzlerschaft Erhards hatten intensive Koalitionsgespräche begonnen, bei denen sich die beiden großen Parteien schnell einigten. Zwischen dem Ende der alten Koalition und dem Beginn der neuen lagen nur vier Tage.
Ludwig Erhard machte den Weg frei für die Große Koalition. Nachdem er drei Jahre und zwei Wochen Bundeskanzler gewesen war, trat er am 30. November 1966 von seinem Amt zurück.
Autor: Dirk Kaufmann |
 |
|
 |
|
|
|
 |
|
 |
|
|
|
 |
|
|
 |
|