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29.11.1983: Flick-Spendenaffäre
Der Saal der Bonner Bundespressekonferenz im Tulpenfeld war brechend voll - die Spannung mit Händen zu greifen, als an jenem Dienstag um 14.00 Uhr die Staatsanwälte den Saal betraten. Mucksmäuschenstill war es, als Oberstaatsanwalt Wilhelm das Ergebnis der richterlichen Ermittlungen bekannt gab:

Anklageerhebung gegen die ehemaligen Mitarbeiter des Flicks-Konzerns von Brauchitsch und Nemitz, den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Friderichs und den früheren Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Riemer. Anklage wegen "fortgesetzter Bestechung", beziehungsweise "Bestechlichkeit".

Und dann der politische Paukenschlag: "Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, gegen den Bundestagsabgeordneten Dr. Graf Lambsdorff Anklage wegen Bestechlichkeit zu erheben. Sie hat deshalb den Präsidenten des Deutschen Bundestages gebeten, eine Entschließung des Deutschen Bundestages über die Aufhebung der Immunität herbeizuführen."

Skandale statt Aufbruch

Es war das erste Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass gegen einen amtierenden Bundesminister Anklage erhoben werden sollte, gegen Otto Graf Lambsdorff, den damaligen Wirtschaftsminister.

Über ein Jahr war die Regierung Kohl / Genscher zu diesem Zeitpunkt im Amt. Eine Regierung, die der Bundesrepublik eine geistig-moralische Wende, eine Stimmung des Aufbruchs, der neuen Werte vermitteln wollte. Doch stattdessen entstand der Eindruck andauernder Skandale, des allgemeinen Sumpfes, der "gekauften Republik".

Die Flick-Spendenaffäre war der Sprengsatz in einem Geflecht von Steuerbetrügereien, das seit Jahren die Staatsanwälte beschäftigte. Doch was zwischen Industriefirmen und Politikern geschah, es geschah diskret, verschwand in so genannten "schwarzen Kassen", wurde von den Handelnden selbst allenfalls als Kavaliersdelikt gewertet.

"Pflege der Bonner Landschaft"

Doch das Blatt wendete sich. Als am Morgen des 4. November 1981 Staatsanwälte und Steuerfahnder in der Zentrale des Flick-Konzerns in Düsseldorfs Mönchenwerther Straße 15, das Dienstzimmer des Chefbuchhalters Rudolf Diehl durchsuchten, machten sie im Tresor einen sensationellen Fund: die streng vertrauliche Spendenliste des Flick-Konzerns.

Über Jahre hinweg waren Politikern aller Parteien, v. a. aber der regierenden CDU, CSU und FDP, hohe Bargeld-Beträge zusammen mit dem Kürzel "wg.", "wegen", zugeordnet. Also: wg. Kohl, wg. Strauß, wg. Lambsdorff. So sah in der Sprache des Konzerns die "Pflege der Bonner Landschaft" aus.

Eine Pflege, die seinerzeit der Generalbevollmächtigte der Firma, Eberhard von Brauchitsch, mit Eifer und Zynismus betrieb: "Wir Unternehmer sind, das wirft man uns gelegentlich vor, nicht politisch engagiert. Das ist so nicht richtig. Wir haben soviel mit unseren Unternehmen zu tun, dass wir uns in erster Linie um unsere Unternehmen kümmern und dann als Staatsbürger irgendeiner politischen Partei unser Votum geben."

Weite Kreise

Der Hüne mit der sanften Stimme, der Vorzeigemanager wurde zum Buhmann einer von der Käuflichkeit der Politiker enttäuschten Republik. Durch großzügige "Pflege der politischen Landschaft" hatte er entscheidenden Anteil daran, dass der Flick-Konzern 1975 den Gewinn aus dem Verkauf seines Daimler-Benz-Aktienpaketes von umgerechnet 8,5 Milliarden Euro der Einkommenssteuer entziehen konnte.

Maßgeblich daran beteiligt, diesen Gewinn von über umgerechnet 450 Mio. Euro, "Geleitzügen" gleich, am Fiskus vorbeizuschleusen, war der damalige Wirtschaftsminister, war Otto Graf Lambsdorff. Er geriet in den Verdacht, sich seine positive Entscheidung mit Bargeld für seine Partei, die FDP, abgekauft haben zu lassen.

Noch vor der Eröffnung des Verfahrens sollte er im Sommer 1984 zurücktreten. Wie die anderen Angeklagten wollte er sich der Strafbarkeit seines Handels nicht bewusst gewesen sein, er sagte damals dazu: "Da kann eine steuerrechtliche Frage und Beurteilung nachher von der Finanzverwaltung in der Betriebsprüfung gänzlich anders gesehen werden, als man sie selbst mit Hilfe seines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers sieht."

Tatbestand: Steuerhinterziehung

Eineinhalb Jahre sollte das Verfahren dauern, dessen publizistische Begleitung nicht selten die Züge einer Schlammschlacht annahm. Nach 126 Verhandlungstagen erfolgte im Februar 1987 das Urteil: vom Verdacht der Bestechung beziehungsweise der Bestechlichkeit wurden die Angeklagten freigesprochen. Den Tatbestand der Steuerhinterziehung und Beihilfe dazu sah das Gericht unter Verhängung hoher Geldbussen als erwiesen an.


Autorin: Christa Kokotowski
   
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