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1.12.1903: Erster Western
"Wenn mein Herz gesund wär, spräng ich zuerst aus dem Fenster; dann ging ich in den Kintopp und käme nie wieder heraus," sagt die Schriftstellerin Else Lasker-Schüler und spricht einem Großteil ihrer Zeitgenossen aus dem Herzen. Das junge Medium Film hat Anfang des 20. Jahrhunderts schon auf der ganzen Welt begeisterte Anhänger.

Der US-amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison experimentiert als erster mit bewegten Bildern. In Europa entwickeln die Brüder Lumière einen Vorführapparat für die Filmstreifen. Die Bilder werden jetzt auf eine Leinwand projiziert, vor der das Publikum sitzt. Die Bilder beginnen, Geschichten zu erzählen; das Massenmedium Kino nimmt seinen Anfang.

Der junge Film ist stumm, das macht ihn international. Bilder können überall auf der Welt verstanden werden. Schnell erobern die europäischen Filme die neue Welt, kopiert werden sie im Labor von Thomas Alva Edison, dem Vater der bewegten Bilder. Laborassistent ist ein gewisser Edwin. S. Porter, der Filme schneiden und selber die Kamera führen kann.

Und er hat künstlerischen Ehrgeiz. Er will einen eigenen, einen amerikanischen Film drehen. Am 1. Dezember 1903 ist sein Werk "The Great Train Robbery", der "Große Eisenbahnraub" fertig. Die Filmwissenschaftlerin Dr. Sabine Gottgetreu kennt den Film:

"Der Film ist ganz kurz nach heutigem Verständnis. Er ist neun, zehn oder elf Minuten, je nach Fassung. Es sind kaum über zehn Einstellungen, in die der Film gegliedert ist, aber trotzdem ist es ein erzählender Film."

Porter erzählt eine Geschichte, die jeder US-Amerikaner der Zeit versteht. Eine aktuelle Geschichte: Die Eisenbahn, die von Osten nach Westen durch das Land verlegt wird, ist das nationale Heiligtum schlechthin. Sie transportiert alles Lebenswichtige - und ist bevorzugtes Ziel für Gangster. Räuber wie Jesse James, Sam Bass und Bill Doolin schreiben in den 1870er Jahren Geschichte. Jetzt kann das staunende Publikum sehen, was es sonst nur in der Zeitung liest. Ein Trupp von Banditen überwältigt einen Stationsvorsteher, stoppt den Zug, raubt die Fahrgäste aus und verschwindet mit der Beute. Aber es gibt ein Happy-End.

Dr. Sabine Gottgetreu: "Diese Gruppe von Räubern wird tatsächlich in einem Waldstück gestellt und dem Gesetz zugeführt. Die Geschichte hat sozusagen einen moralischen Abschluss."

Der kleine Streifen zeigt Banditen in Reiterkluft und Cowboyhüten. Es gibt Saloons, Bardamen, Pferde und Natur, und die Geschichte spielt im Westebn der USA. Handlungselemente, die bis heute Gültigkeit haben. Edwin S. Porter kreiert damit ein Genre: den Western. Das Publikum ist begeistert, auch wenn es nicht genau weiß, von wem.

Dr. Sabine Gottgetreu: "Man weiß sehr wenig über die Darsteller. Der Film kommt ohne Vorspann aus, benützt keine Zwischentitel, so dass überhaupt nicht klar ist, war diese Rollen darstellt. Natürlich sind das auch damals schon Schauspieler gewesen, keine Laien, die Porter da engagiert hat. Wer das aber genau war, ob die Darsteller einen Namen hatten, kann man heute nicht mehr sagen. Die Darsteller waren unbekannt und demzufolge auch noch nicht so sehr gesellschaftlich gewürdigt."

Auch wenn sich das irgendwann ändert, damals bedarf es noch keiner Stars. Das Ereignis "Kino" an sich reicht aus. Auch an entlegenen Orten, denn dort, wo die Zuschauer nicht ins Kino gehen können, kommt das Kino zu den Zuschauern. In den USA genauso, wie in Europa. Eine Zeitzeugin erinnert sich:

"Das war ein Wanderkino. Und da wurde die Gastwirtschaft bestuhlt, und da kam man hin. Da war sehr viel Interesse. Wenn sowas über Land kam, wo sonst nichts los war, war das schon was Besonderes!"

Und dafür wird auch gerne etwas bezahlt. Das junge Medium Kino entwickelt sich schnell zum Wirtschaftszweig.

Dr. Sabine Gottgetreu: "Tatsache ist, dass um 1903 das Kino schon diesen kommerziellen Aspekt hat. Es ist schon eine entfaltete Industrie, ein Teil der Unterhaltungsbranche. Das ganze war bereits ein florierendes kommerzielles Unternehmen."

Doch damals wie heute verkauft der Film etwas Unbezahlbares: Träume.

Autorin: Catrin Möderler
   
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