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18.1.1871: Deutsches Reich gegründet
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Die Szenerie: der Spiegelsaal von Versailles. Das Licht der 32 silbernen Leuchter vervielfacht sich in den hohen Spiegeln zu beiden Seiten des 73 Meter langen Saals. Blumen, Orangenbäume und barocke Prunkmöbel bilden den Rahmen für Hunderte von festlich gekleideten Menschen - der preußische König und sein Hof, eine Vielzahl deutscher Fürsten und reichlich hohes Militär in ordengeschmückten Galauniformen.

Der Choral "Nun danket alle Gott" bildet den Abschluss des Gottesdienstes, den die deutschen Herren hier im Königsschloss des besiegten Feindes abhalten. Aber es ist kein Dankgottesdienst, den sie feiern, sie sind gekommen, um einen alten deutschen Traum zu verwirklichen. Den Traum vom Deutschen Reich, den Traum von der Wiederkehr des Kaisers. Wilhelm I. von Preußen soll ihn erfüllen.

Abschied vom alten Preußen

Der 71-Jährige wird von den anwesenden deutschen Fürsten als "Deutscher Kaiser" ausgerufen. Dem Erwählten ist bei der Prunkzeremonie gar nicht wohl. Am Vortag schreibt Wilhelm I.: "Ich übernehme nur ein Scheinkaisertum, nichts weiter als eine Bezeichnung für Präsident. Wenn es schon so weit gekommen ist, so muss ich dies Kreuz wohl tragen. Morgen muss ich Abschied nehmen von dem alten Preußen, an dem ich allein festgehalten und immer festhalten werde. Ich kann gar nicht sagen, in welcher verzweifelten Stimmung ich bin."

Einer jedoch ist rundum zufrieden, denn es ist hauptsächlich sein Werk, dessen Früchte er an diesem Tag nach jahrelanger Arbeit einbringen kann: Otto von Bismarck, preußischer Ministerpräsident und erster Kanzler des neu gegründeten Reichs. Lange Jahre hatte es gedauert, bis aus dem bunten Flickenteppich Deutschland mit den vielen kleinen Fürstentümern und Königreichen ein einheitlicher Nationalstaat unter Preußens Führung geschaffen wurde. Zwei Kriege hatte Preußen geführt, bis es am Ziel war: 1866 gegen Österreich und 1870/1871 gegen Frankreich.

Nationale Einigung

Durch den Krieg gegen Frankreich schafft Bismarck im Reich jene nationalbegeisterte Stimmung, die es ihm ermöglicht, die widerstrebenden Fürstentümer für eine nationale Einigung zu gewinnen. Ende des Jahres 1870 ist es soweit: der norddeutsche Bund benennt sich in "Reich" um, statt eines "Bundespräsidiums" soll nun ein "Kaiser" an der Spitze stehen. Nur Ludwig von Bayern zögert noch, seinen Beitritt zu erklären.

Der preußische Kronprinz und spätere König Friedrich III. notiert Silvester 1870 in sein Tagebuch: "Der Kaiser erklärt, zu morgen keine öffentlichen Kundgebungen geben zu wollen, weil Bayern noch nicht zugestimmt. Delbrück dagegen meldet, heute Abend werde in Berlin die gedruckte Reichsverfassung erscheinen, die mit dem morgigen Tage, als solche Kaiser und Reich verkündend, in Kraft trete. Bismarck, den ich im Bett finde und dessen Zimmer einer wahren Rumpelkammer gleicht, erklärt, ohne Bayerns Zutritt keine Inauguierung vornehmen zu können. Ich bat ihn dann, doch den historischen 18. Januar ins Auge zu fassen, was ihm zuzusagen schien."

Gründungsdatum des Deutschen Reiches

In der Tat, kein anderer Tag hätte sich so trefflich angeboten, eine neue National-Legende zu inszenieren, denn der 18. Januar ist jedem Preußen heilig. An diesem Tag, 170 Jahren zuvor, am 18. Januar 1701, hatte sich der brandenburgische Kurfürst zum ersten "König in Preußen" gekrönt.

Und die Inszenierung gelingt. Obwohl das Reich formell juristisch schon einige Wochen alt ist, geht die feierliche Proklamation Wilhelms I. als "Deutscher Kaiser" als Gründungsdatum des Deutschen Reiches in die Geschichtsbücher ein.


Autorin: Rachel Gessat
   
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