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13.1.1953: Angebliche "Ärzte-Verschwörung" in Moskau
"Verhaftung von ärztlichen Saboteuren." In dicken Lettern prangte diese Schlagzeile am 13. Januar 1953 in der Parteizeitung "Prawda". Professoren des Regierungskrankenhauses im Kreml wurde vorgeworfen, so wörtlich, "durch medizinische Behandlung und Sabotage das Leben aktiver öffentlicher Persönlichkeiten der Sowjetunion zu verkürzen". Das stand in einem Bericht des Geheimdienstes KGB, so Jutta Petersdorf, Historikerin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin: "Die Ärzte des berühmten Kreml-Krankenhauses, die nun plötzlich alle zu Missetätern, zu Übeltätern, zu aggressiven Personen, zu Feinden des Sowjetlandes und Stalins höchstpersönlich gemacht wurden - unter diesen angeklagten Ärzten aus dem Kreml-Krankenhaus gab es einige Russen, aber der überwiegende Teil der Angeklagten waren Juden."

Stark verbreiteter Judenhass

Nicht nur Sowjetführer Josef Stalin hasste die Juden; auch in der Bevölkerung war ein latenter, jahrhundertealter Antisemitismus vorhanden. So war es für den Generalsekretär der Kommunistischen Partei nicht schwierig, sich dieser uralten Vorbehalte zu bedienen, weiß Jutta Petersdorf: "Durch das ganze Sowjetland ging ein Aufschrei der Empörung, dass die jüdischen Ärzte Schuld seien an der Ermordung hervorragender Menschen des Sowjetvolkes."

1936, 1937 und 1938 überzog Josef Stalin das Land mit einer ersten Säuberungswelle.
Tausende, Zehntausende, darunter viele treue Parteigenossen, fielen in Ungnade. Sie wurden wegen angeblich sowjetfeindlicher Umtriebe umgebracht oder verschwanden für Jahre oder gar für immer in gigantischen Lagern, den berüchtigten Gulags, in unwirtlichen Zonen des Riesenreiches.

Verleumdung führte zu Verfolgung

1948 kündigte sich eine neue Verfolgungswelle an, nur drei Jahre nach dem Sieg über Hitlerdeutschland. Auslöser für die Schlagzeilen in der "Prawda" vom 13. Januar 1953 waren die Verleumdungen einer Ärztin am Kreml-Krankenhaus. Lydia Timaschuk geht hier in die Geschichte ein, indem sie denunzierte.

Sie behauptete, dass ihre später verhafteten Kollegen eine Herzuntersuchung an einem Weggefährten Stalins bewusst falsch deuteten und so seinen Tod herbeiführten.

Um die Empörung der Bevölkerung anzustacheln, ließen die Kreml-Führer verbreiten: Hinter den "Mördern im weißen Kittel", wie die Zeitungen schnell schrieben, stünde die amerikanische und jüdische Hilfsorganisation Joint. In deren Auftrag hätten die Männer nicht nur gemordet, sondern darüber hinaus für die britischen und US-amerikanischen Geheimdienste spioniert.

Rettung durch Stalins Tod

Dem angekündigten Schauprozess und der bereits im Vorfeld beschlossenen Hinrichtung auf dem Roten Platz in Moskau entgingen die Mediziner jedoch in letzter Minute. Am 5. März 1953, knapp zwei Monate nach der angeblich so spektakulären Enthüllung, stirbt Josef Stalin. Damit ist der Spuk vorbei. Für die noch lebenden Ärzte öffnen sich die Kerker, und Stalins Schergen verstecken ganz schnell und ganz heimlich die noch vor dem Tod des Tyrannen ersonnene sogenannte "Jüdische Erklärung". Die sollte gleich nach der Exekution der Professoren auf der Titelseite der "Prawda" veröffentlicht werden. Verfügt wurde in der Erklärung, dass die Juden aus den sowjetischen Industriegebieten ausgesiedelt werden müssten. Zu ihrem eigenen Schutz, passiere das, ließ Stalin aufschreiben.

Geplant war, so gut wie alle sowjetischen Juden in sibirische und kasachische Konzentrationslager zu deportieren. Dort könnten sie - hieß es wörtlich - "für das Volk nützliche Arbeit leisten und dem verständlichen Zorn entgehen, der von den verräterischen Ärzten heraufbeschworen worden ist."


Autorin: Gerda Gericke
   
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