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20.7.1954: Deutsch-deutscher Spionageskandal |
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20. Juli 1954, zehnter Jahrestag des nicht geglückten Attentats auf Adolf Hitler. Im Westen des geteilten Deutschlands gedenkt man der Männer und Frauen um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Unter den Ehrengästen ist Dr. Otto John, seit 1950 erster Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Otto John und sein Bruder Hans gehörten 1944 zu Stauffenbergs Widerstandskreis. Während Otto die Flucht nach Großbritannien glückte, wurde Hans von den Nationalsozialisten hingerichtet.
Zehn Jahre später flüchtet Otto John ein zweites Mal - in die Deutsche Demokratische Republik. Der Schock sitzt tief: Mitten im Kalten Krieg läuft der oberste Wächter über die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ins feindliche Lager über.
Zwei Tage später, am 22. Juli 1954, meldet sich Otto John via DDR-Rundfunk: "Deutschland ist in Gefahr, durch die Auseinandersetzungen zwischen West und Ost auf ewig zerrissen zu werden. Es bedarf einer demonstrativen Aktion, um alle Deutschen zum Einsatz für die Wiedervereinigung aufzurufen."
Vermutungen
Die Umstände des Frontwechsels sind zunächst ziemlich unklar. Erste Ermittlungen ergeben, dass sich John mit dem befreundeten Arzt Dr. Wolfgang Wohlgemuth in den Ostsektor Berlins begibt.
Natürlich befürchtet die Bundesregierung unter dem damaligen Kanzler Konrad Adenauer um die Sicherheit ihrer Spione. Das gleiche gilt für befreundete westliche Geheimdienste. Der damalige Innenminister Gerhard Schröder dementiert die durch Medienberichte genährten Vermutungen: "Ich darf Ihnen hierbei gleich versichern, dass die Presse-Meldungen über Verhaftungswellen in der Sowjetzone nicht bestätigt sind und jedenfalls keine Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz betreffen. Herr Dr. John hat weder Akten noch Dokumente bei sich."
Zwei Tage nach Schröders Presse-Konferenz meldet sich Otto John - auch diesmal über den staatlich kontrollierten Rundfunk der DDR. Er verschärft den Ton und wirbt erneut für die deutsche Wiedervereinigung: "Die einseitige Bindung an die amerikanische Politik durch Dr. Adenauer, die damit verbundene Remilitarisierung und Wiederbelebung des Nationalsozialismus führen zwangsläufig zu einem neuen Krieg."
Der Fall John
In Bonn, dem Sitz der Bundesregierung, geht man nun auch öffentlich davon aus, dass Otto John ein Verräter ist. Am 12. August 1954, gut drei Wochen nach dem spektakulären Verschwinden des damaligen Verfassungsschutz-Präsidenten, spricht der damalige Innenminister Schröder offen vom Kalten Krieg zwischen Ost und West: Der Fall John ist sozusagen eine Schlacht in diesem Krieg. Die Abwehr der psychologischen Zersetzung und der kommunistischen Infiltration ist in diesem Augenblick genauso wichtig, wie die Erhaltung des Vertrauens der westlichen Welt.
Im April 1955, Otto John ist inzwischen ein dreiviertel Jahr in der DDR, gibt er eine Presse-Konferenz in Weimar. Eingeladen hat das Internationale Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer. John behauptet, er habe vor seiner Flucht mit hochrangigen Vertretern in Washington über die angebliche Gefahr aus dem Osten gesprochen. Niemand habe dabei konkrete Anhaltspunkte liefern können. Gleichwohl behaupteten sie nach wie vor, dass es die Absicht der Sowjetunion sei, über Westeuropa mit der Roten Armee herzufallen, um Europa gewaltsam zu sowjetisieren.
Weitere acht Monate später, am 13. Dezember 1955, die Sensation. Im DDR-Rundfunk wird diese Meldung verbreitet: "Herr Dr. Otto John, ehemaliger Präsident des Bonner Amtes für Verfassungsschutz, dem am 20. Juli 1954 Asylrecht in der Deutschen Demokratischen Republik gewährt wurde, hat die DDR verlassen. Dr. John hatte sich schon wiederholt dahingehend geäußert, er gedenke in West-Deutschland den Kampf gegen den Neofaschismus zu führen."
Versionen
Der Fall John, von Beginn an voller Widersprüche, erlangt eine kaum für möglich gehaltene Dimension. Der ehemalige Verfassungsschutz-Präsident behauptet, verschleppt und unter Druck gesetzt worden zu sein. Eine Version, die in Anbetracht des Geschehenen, unglaubwürdig klingen muss. Der Bundesgerichtshof verurteilt Otto John 1956 zu vier Jahren Zuchthaus. Am Urteilsspruch wirken Richter mit, die schon zu Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur Zeit aktiv waren.
Sie hätten sich an ihm, dem Widerstandskämpfer von 1944, rächen wollen, behauptet John, der 1958 vorzeitig aus der Haft entlassen wird und weiter um seine Rehabilitierung kämpft. Fünfmal scheitert er damit vor Gericht. Juristisch gesehen ist er als Verräter gestorben, die moralischen Motive Otto Johns mögen vor dem Hintergrund seiner eigenen Vita und des Kalten Krieges ein milderes Urteil rechtfertigen.
Autor: Marcel Fürstenau
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