 |
 |
 |
 |
 |
|
7.7.1927: Einführung der Arbeitslosenversicherung |
|
 |
 |
|
 |
Mit seinen 275 Paragraphen gehörte es zu den dicksten juristischen Brocken der gesamten Weimarer Republik, das "Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" - kurz AVAG. Zugleich stellte es den größten Zuwachs an sozialer Sicherheit dar, den Arbeiter und Angestellte zwischen 1919 und 1933 verbuchen konnten. Am 7. Juli 1927, verabschiedete der deutsche Reichstag das Paragraphenwerk.
"Das war ein kontinuierlicher Prozess, der nach dem Ersten Weltkrieg begann, weil hier erst einmal das Schicksal der Arbeitslosen nicht nur als individuelles Problem gesehen wurde, sondern die gesellschaftlichen Ursachen gesehen wurden und deswegen Soldaten besser gestellt wurden." Dies erzählte Wilhelm Adamy, Leiter des Bereichs Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Bundesvorstand und Mitglied im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit.
Schrittmacher in Sachen Sozialpolitik
356 Abgeordnete stimmten für das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung, 47 Reichstagsmitglieder, hauptsächlich Angehörige der KPD-Fraktion, votierten dagegen. Die Kommunisten wollten lieber bei der "Erwerbslosenfürsorge" bleiben, die sie während der November-Revolution 1918 erstritten hatten.
Doch die überwältigende Mehrheit der Parlamentarier betrachtete das am 1. Oktober 1927 in Kraft tretende Gesetz als großen Fortschritt. Sie feierten, dass Deutschland, wie einst zu Fürst Bismarcks Zeiten, wieder einmal zum Schrittmacher in Sachen Sozialpolitik wurde, so noch einmal Wilhelm Adamy. Zwischen 1883 und 1889 schuf das deutsche Reich die Kranken-, Unfall-, Invaliden- und Altersversicherung: "Dieses System wurde als großer Fortschritt gefeiert, in gewisser Weise ein Stück Lösung der sozialen Frage in diesem kapitalistischen System."
Arbeitslosengeld war nicht länger eine unsichere öffentliche Wohltat, sondern eine durch Beitragszahlung erworbene Versicherungsleistung. 1927 war das noch kein Problem, meint Wilhelm Adamy. In keinem anderen Jahr der Weimarer Republik machte die Industrie so hohe Gewinne, 633.000 anspruchsberechtigte Arbeitslose schienen für die Assekuranz ein Klacks. Dazu Adamy: "Damals waren in Deutschland sehr, sehr wenige Arbeitslose und man wollte sogar ein finanzielles Polster anlegen für Krisenzeiten. Man hat insofern schon daran gedacht, aber keiner dachte, dass die Arbeitslosigkeit so massiv in die Höhe schnellt - auf über sechs Mio. Menschen damals in Deutschland."
Einsetzen der Massenarbeitslosigkeit
Mit Einsetzen der Massenarbeitslosigkeit keine zwei Jahre später zeigte sich, dass das Gesetz auf wackeligen Füßen stand. Mit den Mitteln der Reichsanstalt konnten maximal 800.000 Menschen unterstützt werden. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Und nach geltendem, am 7. Juli 1927 beschlossenem Recht hätte das Reich für die Finanzierungslücke aufkommen sollen. Das aber wollten die schnell wechselnden Regierungsverantwortlichen am Ende der Weimarer Republik nicht leisten. Der Rest ist schnell erzählt.
"Die Politiker haben dieses Sicherungssystem quasi ruiniert. Es fing damit an, dass das Reich nicht bereit war, noch einen Zuschuss zu diesem Sicherungssystem zu gewähren, so dass man damit automatisch den Druck bei steigender Arbeitslosigkeit an die Arbeitslosen weitergeben musste. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 1932 hatte man dann eine Situation, dass kaum noch ein Arbeitsloser überhaupt noch Leistungen aus dieser Arbeitslosenversicherung erhielt. Sie waren weitgehend ausgesteuert, waren also auf Sozialhilfe angewiesen, und dennoch hat man Überschüsse in sehr großen Größenordnungen erreicht. Und am Ende der Weimarer Republik hat man den Nazis quasi einen Überschuss übergeben, während die Not der Arbeitslosen unendlich groß war," erläuterte Wilhelm Adamy.
Anschaulich ist das Beispiel eines Vaters von sieben Kindern, der vor seiner Entlassung zu den besser verdienenden Arbeitern gehörte und dann mit 15 Reichsmark 85 die Woche aufkommen musste. Nach Abzug aller Kosten, wie zum Beispiel drei Mark Miete, 70 Pfennig Gas, 50 Pfennig als Rate für einen Pullover, bleiben 8,20 Mark fürs Essen. Das reichte für Brot und Kartoffeln und für drei Heringe pro Mann und Nase im Monat. Ein Berliner Lokal führte "Mittagessen auf Abzahlung" ein.
Nach der Machtübernahme 1933
Die Nationalsozialisten haben nach ihrer Machtübernahme 1933 die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitsämter als strategisch sehr bedeutend erkannt. Die finanzielle Unterstützung trat in den Hintergrund, die schnell anlaufende Kriegsmaschinerie brachte einen Großteil der Bevölkerung Lohn und Aufgabe.
Dazu Adamy: "Die Arbeitsämter wurden zur zentralen Instanz, die die Umsetzung von kriegswirtschaftlichen Zielen realisiert haben. Um es so salopp zu sagen: Selbst der Bau eines Hauses musste den Arbeitsämtern gemeldet werden, damit hier geprüft werden konnte, inwieweit wollen wir dies zulassen, weil auch Eisen am Bau gebraucht wird, um damit zu steuern."
Autorin: Gerda Gericke |
 |
|
 |
|
|
|
 |
|
 |
|
|
|
 |
|
|
 |
|