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1.11.1957: Der Fall Rosemarie Nitribitt |
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Konrad Adenauer gewinnt mit dem Slogan "Keine Experimente" mit großem Erfolg die Bundestagswahl, Ludwig Erhardt gibt die Parole aus: "Wohlstand für alle". Die Bürger richten ihre Wohnzimmer mit Nierentischchen und den ersten Fernsehern ein - da erschüttert ein Kriminalfall die Republik.
Tatort: die Stiftstraße 36 in Frankfurt am Main. Am Hinterkopf der Frau klafft eine drei Zentimeter lange Wunde, der Hals trägt Würgemale. Am 1. November 1957 findet die Polizei die 24-jährige Prostituierte Rosemarie Nitribitt. Ermordet in ihrer Luxuswohnung. Sie geht als erstes verruchtes Symbol des Wirtschaftswunders in die Geschichte ein. Und die prüde Adenauer-Ära hat ihren Gesellschaftsskandal.
Der damals ermittelnde Kriminalkommissar Albert Kalk meinte einmal rückblickend: "Was den Fall Nitribitt so interessant machte war die Tatsache, dass sie als eine der ersten mit dem Auto auf Kundenfang ging. Und der Fall Nitribitt hätte ja nie solche Aufmerksamkeit erregt, wenn die Mädchen nicht so versessen darauf gewesen wären, ihre Auflage zu steigern. Seinerzeit hörte man: "Ich komme aus Frankfurt am Main, also, nach Goethe hat keiner gefragt, aber den Fall Nitribitt, den hat jeder gekannt."
Sie kam aus einfachen Verhältnissen, konnte wohl noch nicht einmal richtig schreiben, verfügte aber über einen ausgesprochen guten Geschäftssinn. Stadtbekannt war ihr schwarzer Mercedes 190 SL Roadster mit roten Ledersitzen, aus dem sie sich ihre Freier von der Straße weg angelte. Im Telefonbuch stand sie als Mannequin, ihre Arbeitsnamen: Rebecca oder Gräfin Maritza.
"Jeder ist gut informiert, weil Rosi täglich inseriert und wenn Dich Deine Frau nicht liebt ganz gut, dass es die Rosi gibt. Und draußen vor der großen Stadt stehn die Nutten sich die Füße platt. Skandal, Skandal im Sperrbezirk."
Was die Nation erregte, war weniger der Mord. Nein, dass man mit unsittlichem Lebenswandel so reich werden konnte - geschätztes Jahreseinkommen 100.000 D-Mark - das erhitzte die Gemüter. Und Biedermann, also jedermann, nutzte natürlich auch die Gelegenheit, die eigene Anständigkeit am Beispiel dieser verruchten Person klar hervorzukehren.
Und dann war da ihr Notizbuch. War es ihr Haushaltsbuch oder ihre Kundenkartei? Die Fantasien gehen durch. Gehörten prominente Wirtschaftsbosse und Politiker zu ihren Stammkunden? Hatte das deutsche Wirtschaftswunder etwa persönlich in ihrem Bett gelegen? Und: Hatten große Tiere sie umbringen lassen, weil sie zuviel wusste? Immerhin: auf ihrem Nachttisch stand ein Foto von Harald von Bohlen und Halbach, einem Spross der Krupp-Familie.
Erst im Jahr 1999 fand eine Journalistin nach langwierigen Recherchen im Hessischen Staatsarchiv Nitribitts Kontakte zu namhaften Industriellen bestätigt. Warum wurden bei den Ermittlungen seltsame Fehler gemacht und nachträglich zahlreiche Spuren verwischt?
Der Krimi aus der Wirtschaftswunderzeit schreibt jedenfalls auch Leinwandgeschichte. Rolf Thieles Verfilmung von Erich Kubys Roman "Das Mädchen Rosemarie", eine komplett erfundene Story, trifft die Spitzen der Republik wegen seiner Gesellschaftskritik bis ins Mark. Als der Film zu den Festspielen nach Venedig eingeladen wird, appelliert das Auswärtige Amt gar an die Biennaleleitung, ihn wieder abzusetzen. Man befürchtet, er könne dem Ansehen des Landes schaden. Im anderen Teil Deutschlands wird der Fall hämisch als Beispiel für die Amoralität des kapitalistischen Westens kommentiert.
Das Bauernecho schreibt: "Der Film wurde nach dem Schicksal der käuflichen Dirne Nitribitt gedreht, die mit den höchsten Kreisen aus Industrie und Bundesregierung ins Bett ging, zuviel wusste und deshalb ermordet wurde. Diese Tatsachen sind wahr und deshalb auch die Angst des allerchristlichen Kanzlers Adenauer vor der Aufführung des Films."
Täter und Motiv in diesem legendären Fall sind Spekulation geblieben. Auf dem Grabstein der Nitribitt in Düsseldorf steht: "Nichts Besseres darin ist, denn fröhlich sein im Leben." Motto einer Generation, die den Krieg erfolgreich verdrängte.
Autorin: Carola Hoßfeld |
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