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21.1.1997: Deutsch-tschechische Erklärung
Mehr als ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis es nach dem Zweiten Weltkrieg auch offiziell ein gut nachbarschaftliches Verhältnis geben konnte - zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik. Viele Anläufe hat es gebraucht und die Überwindung vielerlei Hasses und vielerlei Feindschaften, ehe am 21. Januar 1997 in Prag die deutsch-tschechische Erklärung unterzeichnet werden konnte.

Es sollte der große Schritt gewagt werden, das unselige Münchner Abkommen von 1938 zu überwinden, jenes Abkommen, das so viel Leid über die Menschen in der damaligen Tschechoslowakei gebracht hat, das zur teilweisen Auflösung des Staates geführt hat und den Nationalsozialisten die Legitimation gab, das Protektorat Böhmen und Mähren zu begründen. Unrecht und entsetzliche Greuel waren die Folge.

Dieses Abkommen vom 21. Januar 1997 sollte aber auch festhalten, dass die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, ihre Enteignung und ihre Ausbürgerung Unrecht war, unter dem vor allem Unschuldige zu leiden hatten. Ausschreitungen und Unrecht hat es auf beiden Seiten gegeben - beide Länder haben mit ihrem politischen Spitzen dieses Unrecht bedauert und dafür um Vergebung gebeten.

Aussöhnung

Den Weg zu einer Aussöhnung geebnet haben vor allem die Staatsoberhäupter beider Länder, Richard von Weizsäcker und Roman Herzog, vor allem aber der Dichter und Philosoph auf dem Hradschin, Vaclav Havel. Wieder und wieder haben vor allem sie versucht, die Gräben zu überwinden, den Hass abzubauen, das Unverständnis zu mildern, den Blick nach vorn zu lenken.

In mühevollen Verhandlungen hatten die beteiligten Außenminister den Wortlaut der Erklärung bereits Mitte der 1990er-Jahre ausgehandelt, zäh und beharrlich alle Widerstände überwunden, in beiden Ländern.

Die Vorbehalte der Vertriebenenverbände blieben, sie sind bis heute nicht ausgeräumt. Gleichwohl halten sie still, bis auf die rituellen Pfingsttreffen, bei denen hier und da rückwärtige Buh-Rufe zu hören sind. Vergessen sind inzwischen auch die massiven Störversuche auf tschechischer Seite, die sowohl von rechts als auch von links in letzter Minute versuchten, Sand ins Getriebe zu werfen und die Unterschrift unter das mühsam ausgehandelte Werk zu verhindern.

Ein Manifest der Zukunft

Helmut Kohl, damals Bundeskanzler, nannte die Erklärung einen großen Schritt nach vorn und sagte bei der Unterzeichnung in Prag wörtlich: "Unsere gemeinsame Erklärung soll helfen, den Teufelskreis gegenseitiger Schuldzuweisung und Aufrechnung zu durchbrechen." Ähnlich äußerte sich auch der damalige Bundespräsident Roman Herzog: "Die Erklärung enthält keinen Raum für Hintergedanken oder Hintertürchen. Sie ist ein Manifest der Zukunft."

Diesem Gedanken dient auch eine Stiftung, an der beide Länder umgerechnet mehr als 80 Mio. Euro beteiligt sind und die den Ausbau der Begegnungen und Beziehungen zwischen beiden Ländern fördert. Diese Stiftung kann eine stattliche Reihe bemerkenswerter Ergebnisse vorweisen.

Ein Höhepunkt der deutsch-tschechischen Beziehungen vor allem im Lichte dieser Erklärung war mit Sicherheit der Staatsbesuch Vaclav Havels im April l997 in Bonn. Zum ersten Mal sprach er vor dem Deutschen Bundestag, und die CDU/CSU Bundestagsfraktion musste sich hinterher beschämt fragen lassen, ob es sinnvoll war, diesem Ereignis in auffällig großer Zahl ferngeblieben zu sein.

Heimat

Havel blickte in seiner Rede vor dem deutschen Parlament nach vorn und gab einem Begriff von Heimat, der aufhorchen ließ. Der Literat griff tief in die europäische Geschichte und in ihre Gedankenwelt und leitete das urgermanische Wort "haima" für Heimat nicht nur aus der Bedeutung für die unmittelbare Umgebung ab, sondern gab dem Wort universalen Charakter.

Heimat habe keine abgeschlossene Struktur, sondern sei offen. Mache neugierig. Schaffe Lust auf das Unbekannte. Vermittle Verständnis für das Geheimnisvolle. Mit seiner schlichten Erkenntnis, dass Europa sich als Heimat der Heimaten empfinden müsse, traf Havel offenbar den Sensus dessen, worum so lange gerungen worden war.

Es ist der Kern der deutsch-tschechischen Erklärung vom 21. Januar 1997, der lautet: Nicht Aufrechnen der Vergangenheit, sondern gemeinsames Gestalten von Zukunft ist die Aufgabe beider Länder in und für Europa. Auch die Proteste der Vertriebenen und ihrer Sonntagsredner werden leiser und milder.


Autor: Geert Müller-Gerbes
   
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